Jud Sueß
werde ihn aburteilen, lebenslänglich Kugeln zu schleifen.
In dem verödeten Haus saß blaß die Französin. Das neugierige Mitleid der Verwandten und Befreundeten hörte sie schweigend, die kurzen, roten Lippen fest verkniffen. Als man es müde ward, die Hochmütige zu trösten, die einem ja doch nicht den Gefallen tat, zu jammern, und sie allein ließ, erschien bei ihr der Rat Bühler vom Fiskalatsamt, ein weitläufig Verschwägerter der Schertlin. Die hatten als vor einer Süßischen Kreatur immer vor ihm ausgespuckt. Jetzt kam er wichtig, fraß seine Genugtuung, spielte den Großmäuligen, protzig Mitleidigen, fand die Waldenserin in ihrem starren, hochmütigen Kummer sehr apart, riet ihr, sie solle den Süß aufsuchen. Der werde verleumdet, er sei im Geschäft hart auf hart, das sei natürlich, aber rachsüchtig sei er nicht.
Ob die Waldenserin ihren Mann liebte, wußte niemand, und sie selbst nicht. Aber wie sein Prozeß immer näher kam, ging sie zu Süß.
Sie war aus gutem Haus, in ihrer Familie lebte die Tradition französischen Hoflebens, Glanz und herrenhaftes Gehabe. Sie sah die Säle des Juden, die weinroten Lakaien, die Pagen. Die Teppiche, Statuen, Chinoiserien. Das war anders als die solide Behäbigkeit der Schertlin. Das war die Fülle, der Überfluß, jenes Überflüssige, das das Leben aus einem Gezwungenen, zu Tragenden zu etwas Leichtem, Herrlichem, Liebensund Sehenswertem machte. Süß war guten Humors, und die Frau gefiel ihm. Er traktierte sie ganz als große Dame, sprach, da er sah, es war ihr lieber, nur französisch, streichelte sie mit mondänen Komplimenten, redete mit keinem Wort von ihrer Bedrängnis. Das war ihre Luft; wäre sie nicht als Supplikantin gekommen, sie wäre ihm wie von selbst zugefallen. So aber, wie er plötzlich mit zynischer Galanterie eine Brücke schlugvon ihrem Anliegen zu seiner Begierde, stand sie eine kleine Weile reglos, totenhaft fahl. Dann warf sie ihm ins Gesicht, sie schäme sich, daß sie nicht eh bedacht habe, sie habe mit einem Juden zu tun. Worauf er sich, glatt und ohne eine Miene zu ändern, lächelnd und tief verneigte: »Dann also nicht!«, sie höflich zur Tür geleitete und ihr Abschied nehmend die Hand küßte.
Er entließ Johann Ulrich aus seiner Haft, begnügte sich, die Affäre durch das Fiskalatsamt regeln zu lassen. Johann Ulrich kam mit einer Geldbuße davon, die allerdings so hoch war, daß sein Handel daran für immer erlahmen mußte.
In der Waldenserin brannte die Begegnung mit Süß weiter. Bisher hatte sie nicht gewußt, ob sie ihren Mann liebte oder nicht. Jetzt wußte sie, daß sie ihn verachtete. Er hatte die Pflicht zum Erfolg. Er war sie nicht wert, wenn er keinen Erfolg hatte. Sie verachtete ihn, weil er nicht Glanz und Überfluß und weinrote Lakaien und Chinoiserien vor sie hinbreiten konnte wie jener, weil er sich von jenem hatte besiegen lassen, weil sie seinethalb so kläglich vor jenem gestanden war. Sie verachtete ihn, weil sie seinethalb die Galanterie des Süß zurückgewiesen hatte. Der war Welt, zu dem gehörte sie, Johann Ulrich war Bürgerpöbel. Sie sprach von alledem zu Johann Ulrich kein Wort, nicht einmal von ihrem Besuch bei dem Juden. Er tobte gegen den Süß, schrie, vermaß sich blutrünstigster Heimzahlung. Aber es war hohles Gepolter. Sie sah ihn aus ihren länglichen Augen mit kalter, hochmütiger Gleichgültigkeit an, und er wußte so gut wie sie, daß er zerknickt und ohne Kraft war und nie etwas tun werde.
Er verkam mehr und mehr. Die Manufaktur in Urach wurde versteigert, versteigert die Filialen in Stuttgart und Maulbronn. Der Levantiner erwarb sie. Man bot, Hohn und Almosen, ihm eine Verwalterstelle in seinen früheren Fabriken. Vielleicht hätte er akzeptiert, hätte nicht die Frau, den Süß hinter dem Angebot witternd, scharf und kurz abgelehnt. Auch die anderen Schertlin gerieten mit in den Sturz. Verkauft die Häuser in Urach und Stuttgart, verkauft die Weinberge und Felder. Nurder alte Christoph Adam hielt sich, in Eßlingen. Er trug den großen, verwitternden Kopf noch höher, stieß noch heftiger mit dem Rohrstock gegen den Boden, den goldenen Knopf fest umschließend mit dürrer, doch nicht zitternder Hand.
Johann Ulrich wie viele andere, die bei währendem Regiment des Süß von Haus und Geld gekommen waren, traf Vorbereitungen, sich einem Auswandererzug anzuschließen, der nach Pennsylvanien wollte. Die Waldenserin widersetzte sich. Es gab einen kurzen, wilden Kampf. Er schlug sie,
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