Jud Sueß
förmlich. Sie war wie erlöst, daß sie den Herzog nicht mehr hören mußte, sie spürte das Wohlwollen, das von der Herzogin zu ihr herüberging, aber die gleichgültige Förmlichkeit im Gesicht des Süß verwirrte sie von neuem. Sie saß stumm, während die anderen weiter leicht und belanglos konversierten, und plötzlich löste sich Furcht, Spannung, Enttäuschung, Empörung, Erwartung in ein ungehemmtes Schluchzen, das sie vor die Herzogin hinwarf. Betretenheit und leichtes Schmunzeln bei den anderen, Marie Auguste streichelte mit der kleinen, zierlichen, fleischigen Hand die große, kalte des Mädchens. Süß aber nützte geschickt die Gelegenheit, sagte, er werde sorgen, daß sie sich beruhige, führte die Befangene, Geschüttelte fort. Es feixte der Chinese Riolles, es lächelte der Spanier Schütz, der Phantasieschäfer Aktuarius Götz fand wieder keinen anderen Ausweg als eine kriegerische Miene. Aber die Herzogin, unbefangen weiterschwatzend, suchte mit den Augen ihren Gemahl und konstatierte befriedigt, wie er, da Süß das Mädchen in seiner Nähe vorbeiführte, ihm zublinzelte.
Das Zimmer, in das der Jude Magdalen Sibylle führte, war kühl, wenn man aus den von Kerzen, Wein und Menschen überheißen Sälen kam. Es war das Zimmer vor dem Schlafgemach, durch eine Portiere sah man das Prunkbett mit den goldenen Amoretten. Hierher hatte man aus den übrigen Räumen allerlei Dinge zusammengestellt, die dort dem Maskenfestim Weg gestanden wären, Zerbrechliches, Porzellan, Chinoiserien, das Bauer mit dem Papagei Akiba. Der Lärm des Festes klang hier nur sehr leise, nach den menschenvollen Sälen wirkte das kleine Zimmer mit seiner frischeren Luft, seiner Leere, Stille, Kühle wohlig sänftigend.
Magdalen Sibylle saß auf einem niedrigen Diwan, ruhiger atmend, gelöster die Haltung. Sie sah groß aus, wie sie so dasaß, warm und gelockert von all der Wirrung und Erregung, und Süß, der geschmeidig und verbindlich vor ihr stand, begehrte sie sehr. Es traf sich schlecht und ungeschickt, daß jetzt der andere kommen wird, der wahrscheinlich gar nicht zu schmecken verstand, was Köstliches ihm da zufiel.
Das Mädchen schaute langsam mit seinen großen, erfüllten Augen den Mann an. Süß hielt es für angebracht, den Blick mit jener hemmungslosen Hingabe zu erwidern, in der er geübt war, und solcher Hingabe im besonderen Fall etwas Väterlichkeit beizumischen. Armer Luzifer! dachte Magdalen Sibylle. Er ist ein sehr Verirrter und Unglücklicher. Es hat keinen Sinn, zu eifern und ihm mit wilder und empörter Beschwörung zu Leib zu rücken. Ich werde ihn ganz sacht an der Hand nehmen und ihm mit sänftlichen Worten zureden, bis er zu Gott zurückfindet. Wie konnte ich zweifeln, ob ich die Kraft haben werde zu meiner Sendung. Er wartet ja nur darauf, daß jemand komme und ihn mit Gott versöhne.
»Ich bin untröstlich, Demoiselle«, sagte mittlerweile mit seiner dunklen, streichelnden Stimme der Jude, »daß Ihnen immer in meiner Gegenwart ein Akzident unterläuft. Das erstemal, als ich das Glück hatte, Sie zu sehen, im Wald von Hirsau, unter den Bäumen, liefen Sie vor mir davon. Als Sie mir dann mit Ihrem Herrn Vater die Ehre Ihrer Aufwartung machten, wurde Ihnen in meinem Hause nicht wohl. Heute, wo ich glaubte, nach meinen bescheidenen Kräften alles getan zu haben, meine Gäste in guten Humor zu setzen, sehe ich zu meinem schmerzhaftesten Bedauern, daß ich es wieder nicht getroffen habe. Ist meine Visage wirklich so abominabel und widerwärtig, Demoiselle? Oder sind es vielleichtdoch nur fatale Zufälle?« Und er neigte sich zu ihr, die groß und gerötet auf dem Diwan saß.
»Simulieren Sie nicht länger, Herr Finanzdirektor«, sagte sie plötzlich mit einem tapferen Anlauf und sah ihn groß, fromm und dringlich an. »Ich weiß sehr gut, daß Sie Luzifer sind, Sohn des Belial, und Sie wissen, daß ich gesandt und gekommen bin, mit Ihnen zu ringen und Sie Gott zu unterwerfen.«
Süß hatte viel Übung mit Weibern, er war an Überraschungen gewöhnt, er verlor nie seine Fassung und zeigte sich nie perplex. Aber diese Anrede kam ihm völlig unerwartet, verschlug ihm die Sprache, er wußte, zum erstenmal, keine Antwort. Es schickte sich glücklich für ihn, daß Magdalen Sibylle offenbar auch gar keine Antwort erwartete, sondern nach einer Atempause weitersprach. Sie begreife es sehr wohl, daß er glaube, Gott, sein Widersacher, werde ihn zurückstoßen; es sei gewiß auch ein ungeheurer Entschluß, von
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