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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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alles war wie aus Wachs. Auch der Herzog, der jetzt wieder schwer und groß und mit müden, schlaffen und gelösten Gliedern, mehr hinkend als sonst, im Saal war, schien ihm wie eine Wachspuppe, wie hinter Rauch und Nebel.
    Aber dennoch gelang es ihm, beim Anblick des Herzogs eine kleine, neue Hoffnung hochzuschüren. Er verjagte seineGesichte, er hieß sein Wissen stumm sein und wollte es nicht wahrhaben. Mit einer eiligen, flatternden Bewegung raffte er den Venezianer Mantel und trat dem Herzog in den Weg, der ganze Mann ein einziges, dringliches, flehendes Fragen, ob es vielleicht doch nicht geschehen sei. Aber der Herzog sah ihn nicht, er wollte ihn offenbar nicht sehen, er hatte kein Aug für ihn; er ging, trotzdem Weißensee ganz nah an ihm war, starr gerade vor sich hin schauend an ihm vorbei, mit einem merkwürdig scheuen und gewalttätigen Rülpsen.
    Da war Weißensee auf einmal furchtbar alt und müde. Er suchte sich eine stille Ecke und geriet an den Tisch, wo der einsame Aktuarius Götz saß und soff. Der fühlte sich sehr geehrt durch die Gesellschaft des Herrn Kirchenratspräsidenten, stand, wiewohl schon stark unter Wein, zeremoniös auf und machte vielerlei umständliche Reverenzen. Und dann saßen die beiden Männer, der alte, feine, traurige, zerrissene und der junge, plumpe, in Hilflosigkeit und Schwärmerei dumpf brodelnde, enttäuschte, und sie waren stumm und starrten in das festliche und überhitzte Getriebe und tranken.
    Karl Alexander aber ging satt, stolz und befriedigt durch den Saal. Wohl hatte er manchmal ein kleines, verlegenes und trotziges Lachen wie wohl ein Knabe, der etwas angerichtet hat, sich damit brüstet, um sich über seine Scham wegzuhelfen. Aber gerade darum stellte er es so an, daß jeder es sehen mußte, daß er aus einer Umarmung kam. Er winkte seiner Frau, die ihn wie fragend ansah, mit einer weiten Geste zu, die sie mühelos als ein stolzes Eingeständnis deuten konnte. Er ging an den Pharaotischen vorbei, wo glühende und über die Störung im geheimen sehr erboste Spieler sich ehrfürchtig erhoben, und versicherte, daß er sich heute abend außerordentlich, aber ganz außerordentlich amüsiere. Er stürzte durstig zwei große Gläser Tokaier hinunter und war sehr betrunken. Er machte sich an seinen Schwiegervater, der jetzt ganz in der Napolitanerin aufging, was Karl Alexander anerkennend und gönnerisch zur Kenntnis nahm. Er fiel demalten Fürsten mehrmals um den Hals, sagte zärtlich: »Euer Liebden! Euer Liebden! Ist recht, daß sich Euer Liebden so jung fühlen.« Dann prahlte er eitel und sentimental mit seiner italienischen Jugend, seiner lombardischen Kampagne, seinen venezianischen Aventüren. Cassano hat er zwar mit dem lahmen Fuß bezahlen müssen, aber es war kein zu hoher Preis. Ah, Venedig, Venedig! Vagabundieren, die Maske vor dem Gesicht, und Frauen und Duelle und hohe Politik und Alchimisten und Geisterseher und die Lagune und die Paläste und über allem die heimliche Hand der Zehn. Sie, die Graziella Vitali, ruft es ihm zurück, so ein Hui, so ein wohliges, rasches, welsches Parfüm wie sie ist. Und seine Augen schätzen die Napolitanerin ab, eingehend und kennerisch. »Es geht Euer Liebden nicht schlecht«, lallte er, »es geht mir auch nicht schlecht. Suum cuique! Suum cuique! Der Herrgott hat uns alle beide in diesem Mistbeet Welt auf ein Plätzchen gesetzt, wo es warm und mollig und viel Sonne ist.« Und er tätschelt anerkennend den nackten, gelben, mürben Arm der Komödiantin und gratuliert dem Alten zu dem feinen Hühnchen, das er da zu rupfen im Begriff sei.
    Süß weicht dem Herzog aus. Er ist neidisch und erbittert, er weiß, Karl Alexander wird ihm jetzt die Affäre mit Magdalen Sibylle schildern, klotzig und umständlich und mit allen Details, und er ist nicht in der Laune, sich von diesen Freuden, deren Primeurs eigentlich ihm gebührten, erzählen zu lassen. Die Gedanken daran loszuwerden, schaukelt er in den hohen Wellen seines Festes. Ihn zu feiern, daß er auf der Welt ist, seinen Geburtstag zu feiern, sind all diese Lichter angezündet, diese Tafeln und prunkvollen Räume gerichtet, diese schönen Damen und großen Herren gekommen. Er ist sehr hoch hinaufgelangt, niemals in Deutschland stand ein Jud so hoch und glänzend wie er. Und er wird noch ganz anders dastehen. Schon ist sein Adelsgesuch auf dem Weg nach Wien zum Kaiserhof; er wird – Karl Alexander, ihm von Tag zu Tag mehr verpflichtet, muß ihm das durchsetzen –

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