Jud Sueß
nobilitiert sein. Er ist kein Narr wie Isaak Landauer, er läuft nicht in Kaftanund Schläfenlöckchen; aber er denkt auch nicht daran, sich wie sein Bruder durch das billige Mittel eines Glaubenswechsels Titel und Rang zu schaffen. Durch sein Genie, nur durch sein Glück und sein Genie wird er ganz oben stehen. Er hat rechtzeitig auf den Herzog gesetzt, wie der noch klein war und ganz gering. Er wird auch die paar Stufen nicht mankieren, die noch zu steigen sind. Er wird Jude bleiben und wird trotzdem, und gerade das wird sein Triumph sein, adlig sein und Landhofmeister und den rechten Platz im Herzogtum einnehmen in aller Form und vor aller Welt.
Man tanzte. Er füllte Herz und Aug und Ohr mit dem bunten, huldigenden Lärm. Sein Geträume kletterte hinauf an den Läufen der Geigen, die Pauken dröhnten seine Macht in den Saal, die Schönheit der Frauen, der seidene Prunk der Herren huldigte ihm. Er schaut hinein in sein Fest, träumt seine Hoffart hinein, den sehr roten Mund halb offen, ein verzücktes Lächeln in dem weißen Gesicht. Doch plötzlich wischt ihm ein Unsichtbares die befriedigte, genießerische Sattheit fort vom Antlitz. Weggeblasen der farbig gekräuselte, fröhliche Schaum, verfahlt das bunt rauschende Fest; wohl sieht er die Musikanten sich abarbeiten, aber er hört keine Musik mehr. Er sieht sich schreiten in einem andern nebelhaften, grinsenden, beklemmenden Tanz. Vor ihm, seine Hand haltend, schreitet sein Oheim, Rabbi Gabriel, hinter ihm, an seiner andern Hand schleift, stärker hinkend, der Herzog den lahmen Fuß. Ganz vorn aber, durch viele Hände mit ihm verkettet, ist das nicht Isaak Landauer, der kopfwackelnd, dürr, in albern flatterndem Kaftan, rhythmisch die Beine setzt?
Wie er sich aus dem Gesicht reißt, steht in seiner verschollenen Portugiesertracht Dom Bartelemi Pancorbo vor ihm, aus tiefen Höhlen langen die lauersamen Augen nach ihm, langsam kriecht ihm die kellerige, makabre Stimme ins Ohr: »Wie ist’s, Herr Finanzdirektor? Ich leg zu der Tabakmanufaktur noch die Schnapssteuer auf einen Monat: laßt Ihr ihn ab, den Solitär?«
Und das Fest ging weiter. Für den zweiten Teil des Abends hatte Nicklas Pfäffle, der gleichmütig, schläfrig und präzis den komplizierten Mechanismus des Balles leitete, eine Überraschung ausgedacht. Die Decke mit dem Gemälde vom Triumph des Merkur öffnete sich, auf einer Flugmaschine erschien der Knabe Cupido, er schwebte über den Gästen, streute Rosen, huldigte in zierlich gedrechselten Alexandrinern dem herzoglichen Paar, gratulierte dem Süß zum Geburtstag. Es war ein sehr anstelliger Knabe, er sprach seine Verse sehr hübsch, und wenn Cupido auch ein weniges schwäbelte, so war das, meinte Remchingen sehr laut, immerhin besser, als wenn er etwan gemauschelt hätte.
Als unmittelbar darauf der Tanz wieder einsetzte, kam es zu einer kleinen Störung. Ein verdächtig aussehender, verwahrloster Mensch stand auf einmal im Saal und hielt eine Ansprache. Man sammelte sich lachend um ihn, glaubte, sein Gewese sei Maskenscherz, so war er wohl auch hereingekommen. Aber es zeigte sich bald, daß die wilden und unflätigen Reden gegen die hebräische Justiz und die ganze hebräische Raub-, Mord- und Sauwirtschaft ernst gemeint waren.
Der Verwahrloste, Fluchende war Johann Ulrich Schertlin. Er hatte in Stuttgart einen kleinen Handel zu erledigen gehabt, war in die Kneipe »Zum Blauen Bock« gegangen, hatte sich unter schimpfenden Kleinbürgern besoffen, während der Konditor Benz schweigend, giftig und befriedigt zuhörte und nur einmal sagte: »Unterm vorigen Herzog regierte eine Hur«, worauf allgemeines Grunzen und Gegrinse entstand. Dort also hatte Johann Ulrich Schertlin gesessen, er hatte sich wohl gefühlt wie lange nicht, denn jetzt stand er nicht unter dem länglichen, vorwurfs- und verachtungsvollen Aug der Waldenserin, er hatte viel getrunken und war schließlich in das Haus des Juden gegangen, um dem die Meinung zu sagen. Etliche von seinen Trinkkumpanen waren mitgezogen, die standen nun draußen im Schnee im Schein der Kerzen, der aus den Festsälen auf die Straße fiel, die Kutscher der herrschaftlichen Wagen, die zur Heimfahrt vorgefahren waren,hatten sich ihnen zugesellt, und da standen sie nun, mehr neugierig als empört, bis Johann Ulrich in Ketten auf die Wache geführt würde. Der aber stand eben inmitten der seidenen Gäste, schmutzig, stinkend, voll von schlechtem Wein, maßlos und unflätig schimpfend. Schon wollte man ihn
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