Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
vierzehnten Jahrhundert waren sie hier in mehr als dreihundertundfünfzig Gemeinden erschlagen, ertränkt, verbrannt, gerädert, erdrosselt, lebendig begraben worden. Die Überlebenden waren zumeist nach Polen ausgewandert. Seitdem saßen sie spärlich im Römischen Reich. Auf sechshundert Deutsche kam ein Jude. Unter raffinierten Plackereien des Volkes und der Behörden lebten sie eng, kümmerlich, dunkel, hingegeben jeder Willkür. Untersagt war ihnen Handwerk und freier Beruf, die Vorschriften der Ämter drängten sie in verwickelten und verwinkelten Schacher und Wucher. Beschränkten sie im Einkauf der Lebensmittel, ließen sie den Bart nicht scheren, steckten sie in eine lächerliche, erniedrigende Tracht. Pferchten sie in engen Raum, verrammelten die Tore ihres Ghettos, sperrten sie zu, Abend um Abend, bewachten Einund Ausgang. Dicht zusammengepreßt saßen sie; sie mehrten sich, aber man gönnte ihnen nicht weiteren Raum. Da sie nicht in die Breite bauen durften, schichteten sie in die Höhe, Stockwerk um Stockwerk. Immer enger, düsterer, verwinkelter wurden ihre Gassen. Nicht Baum, nicht Gras, nicht Blume hatte Raum; ohne Sonne standen sie, ohne Luft, einer dem andernim Licht, in dickem, seuchenzeugendem Schmutz. Abgeschnürt waren sie von der fruchtbaren Erde, vom Himmel, vom Grün. Der wehende Wind verfing sich in ihren grauen, stinkenden Gassen, die hohen, verschachtelten Häuser versperrten den Blick auf die ziehenden Wolken, die blaue Höhe. Gebückt schlichen ihre Männer, ihre schönen Frauen welkten früh, von zehn Kindern, die sie gebaren, starben sieben. Totes, brackiges Wasser waren sie, abgesperrt vom flutenden Leben draußen, abgedämmt von der Sprache, der Kunst, dem Geist der anderen. Dick aufeinander saßen sie, in übler Vertraulichkeit, jeder kannte jedes Heimlichkeit, klatschsüchtig, mißtrauisch rieben sie sich, die gelähmten Beweglichen, scheuerten sie sich wund einer am andern, einer des andern Feind, einer im andern verfilzt. Denn jedes einzelnen kleinster Fehl oder Ungeschick konnte das Unheil aller werden.
    Doch mit der sicheren Witterung, die sie für das Neue, für das Morgen hatten, spürten sie die äußere Umschichtung der Welt, den Ersatz der Geburt und Würde durch das Geld. Sie hatten es erfahren: in Unsicherheit, Rechtlosigkeit, Fährnis gab es einen einzigen Schild, zwischen lauter wankendem, versagendem Grund ein einziges Festes: Geld. Den Juden mit Geld hielten die Wächter nicht an den Toren des Ghettos, der Jude mit Geld stank nicht mehr, keine Behörde mehr setzte ihm einen lächerlichen, spitzen Hut auf. Die Fürsten und großen Herren brauchten ihn, sie konnten nicht Krieg und Regiment führen ohne ihn. Die Grävenitz und die schwäbischen Herzöge ließen Isaak Landauer und Josef Süß groß und stattlich werden; es wuchsen in der Sonne des brandenburgischen Kurfürsten die Lipmann Gomperz und Salomon Elias, am Hofe des Kaisers die Oppenheimer.
    Aber die dicke Masse der Gedrückten, Rechtlosen und die einzelnen Mächtigen, die stolzen Juden der Levante und der großen Seestädte, die die Handelsstraßen Europas und der Neuen Welt beherrschten und in ihren Kontoren über Krieg und Frieden entschieden, und die verschmutzten, verkommenen, niedrigen, lächerlichen Juden der deutschen Ghettos, diejüdischen Leibärzte und Minister des Kalifen, des Perserschahs, des Sultans von Marokko in Herrlichkeit und großem Glanz, und in Dreck und Verachtung der lausige Pöbel der polnischen Judenstädte, die Bankiers des Kaisers und der Fürsten, umworben und umhaßt in ihren Kabinetten, und der Hausierjude der Landstraße, mit Hunden gehetzt, von den Straßenjungen und der Polizei in widerwärtige, komische Erniedrigung gepreßt, alle hatten sie ein sicheres, heimliches Wissen gemein. Vielen war es nicht klar, aussprechen hätten es nur wenige können, manche hätten sich gegen die deutliche Erkenntnis gewehrt. Aber im Blut stak es allen, im innersten Gefühl, es war da: das tiefe, heimliche, sichere Bewußtsein von der Sinnlosigkeit, der Wandelbarkeit, dem Unwert der Macht. Sie waren so lange klein und gering gesessen unter den Völkern der Erde, zwerghaft, lächerlich in Atome verspellt. Sie wußten, Macht üben und Macht erleiden ist nicht das Wirkliche, Wichtige. Zersplitterten nicht einer um den anderen die Kolosse der Gewalt? Aber sie, die Gewaltlosen, hatten der Welt ihr Gesicht gegeben.
    Und es wußten diese Lehre von der Eitelkeit und Belanglosigkeit der Macht die

Weitere Kostenlose Bücher