Jud Sueß
Karl Alexanders, sie sah etwas Rotes, Widriges auf sie zukommen, das waren seine Hände und sein Gesicht. Zuweilen wohl stieg, wenn sie daran dachte, ein laues, übles Gefühl des Ekels in ihr auf. Was später kam, wußte sie nicht mehr recht. Sie wußte nur, daß sie den Herzog durchaus nicht haßte. Er war wie ein großes Tier, ein Pferd oder ein Stier, warm und mächtig groß und in sich eingesperrt. Manchmal spürte man in den Augen eines solchen Tiers, wie fremd und unerreichlich anders es war, manchmal fühlte man sich ihm nah. Aber man haßte es nicht und niemals.
Dies war das Grauenvolle und was ihre Welt und sie selber in einen dummen und lächerlichen Trümmerhaufen niederbrach: daß der andere ein Tier war, das man unmöglich hassen konnte. So war sie selber wohl solch Tier, sanfter vielleicht, nicht so rot und fauchend und dunstend, aber doch ein Tier. Und das, was sie geträumt hatte, von Gott und Schweben und Aufgehen in ihm und Seligkeit, das war alles dummes, kindisches, albernes Gespinst und Gefasel und Narretei. Ein Tier war man und keine Blume.
Sie ging zur Beata Sturmin. Sie hörte die frommen, gefriedeten, sicheren Reden des alternden, heiligen, blinden Mädchens, und sie hatte Mühe, nicht dreist und trocken herauszulachen. Was wußte denn die! Die war eben blind. Das war ja ahnungslos und Heu und Stroh, was die daherpredigte! Du hast vor dich hin gelebt, heilig und keusch und selig beflissen, und war kein schmutziger Gedanke an dir. Und nun kommt ein Tier, rot, weindunstend, schnaufend, und zertrampelt dich und wühlt seinen Schmutz und Glitsch in dich: und du kannst es nicht hassen. Erklär das doch! Deut das doch aus!
Der Herzog ließ Weißensee und seine Tochter zu sich bitten. Weißensee sprach, zaghaft, Magdalen Sibylle davon. Sie antwortete nicht, kam nicht. Der Herzog bat ein zweites Mal. Magdalen Sibylle hörte nicht. Der Herzog ließ dem Konsistorialpräsidenten durch den Neuffer seine Ungeduld und seinen Unwillen vermelden. Weißensee wagte es nicht, ihr darüber zu sprechen. Er steckte sich hinter die Beata Sturmin, machte dem heiligen Mädchen Andeutungen, die sie in ihrer Naivität nicht verstand. Immerhin bat sie die Magdalen Sibylle zu sich, sprach zu ihr, sagte, der Herzog habe nach dem, was ihr Vater erzähle, offenbar Wohlgefallen an ihr gefunden, und sie solle doch zu ihm gehen und ihm in seine Verstocktheit hineinreden. Vielleicht habe sie Gott auserwählt, wie Esther dem Ahasverus. Magdalen Sibylle lachte haltlos, höhnisch. Die Blinde richtete sanft und ohne Verständnis die erloschenen Augen auf sie.
Dennoch ging sie. Sie ging zu dem Tier in einer Art toterNeugier. Es war alles so fratzenhaft und lächerlich. Da hasteten alle herum und hatten sich wichtig und machten sich Gründe vor, aus denen sie so heftig und wichtig herumzappelten. Und in Wahrheit war alles ganz ohne Verstand, hatte nicht mehr Sinn als das Gekrabbel von Maikäfern, die ein Bub in eine Schachtel gesperrt hat.
Sie saß bei Karl Alexander. Sagte: Guten Tag, Durchlaucht, führte die Schokolade zum Mund. Er sprach zu ihr, nett, fröhlich, wohlwollend wie zu einem kleinen Kind. Sie erwiderte Belangloses, Mechanisches. Was sie tat, sagte, war wie angeschminkt, nicht zu ihr gehörig. Er bemühte sich weiter um sie. Sie dachte, er ist doch eher ein schweres Pferd als ein Stier, wartete darauf, mit einer stillen, angewiderten Neugier, ob er sie nehmen werde. Im Verlauf, wie gar nichts mit ihr anzufangen war, wurde er zornig. Gewiß, eine Jungfer hatte sich zu zieren und hernach beleidigt zu tun, das war in aller Welt so. Aber schließlich war es doch etwas, seine, des Herzogs von Württemberg, Herzdame zu sein. So kostbar wie die hatte keine getan, so ein kaltes, frostiges Gewese war ihm noch nie passiert. Er wurde heftig. Sie sah ihn an, nicht mit Vorwurf, auch nicht mit Hoheit; aber es war ein so abgründiger, ätzender Hohn darin, er fühlte sich unbehaglich, kam sich vor wie ein heruntergeputzter kleiner Fahnenjunker. Wurde wieder freundlich, zärtlich. Sie schwieg. Schließlich nahm er sie. Sie ließ es kalt geschehen, ohne sich zu wehren, und er blieb ohne Genuß. Als er sie die Treppe heruntergeleitete an den Wagen, starb den Lakaien das Grinsen auf den Gesichtern, so wie eine Tote oder eine Wahnsinnige ging sie.
Sie ließ es auch weiterhin, ohne sich zu wehren, geschehen, daß er sie hielt wie seine erklärte Mätresse. Sie kam, wenn er es befahl. Zeigte sich öffentlich mit ihm. Das Volk freute
Weitere Kostenlose Bücher