Jud Sueß
aus der Residenz, und wenngleich es den frommen Seelen fernlag, von ihrer weiland Schwester Böses zu glauben, so trugen diese Gerüchte jedenfalls dazu bei, den Haß und den Abscheu zu nähren gegen den Herodes, den Herzog, und seinen Trabanten, den Juden, als welcher offenbar der leibhaftige Satanas war. Aus solchem christlichen Abscheu heraus hatte der junge Bauer säuberlich und gewissenhaft mit Blumen in die Waldlichtung geschrieben: »Josef Süß Saujud Und Satanas«.
Dem Magister Jaakob Polykarp Schober selbst war mit Magdalen Sibylle eine Tröstung und großes Licht erloschen. Bei aller Demut und Niedrigkeit spürte er doch zwischen sich und Magdalen Sibylle ein heimliches, einverstehendes Wissen, das ihn über die anderen hoch hinaushob. Sicherlich ahnte ihr von seinem großen, seligen Geheimnis, und so ging der fette, stille, pausbäckige Mensch sanft und gehoben neben ihr her. Es war so schön gewesen, jemanden mit solcher Ahnung neben sich zu wissen, es war gewiß kein unfrommer Stolz, sich auf diese Art gewissermaßen bestätigt zu fühlen. Er liebte die Einsamkeit mit Gott, aber Magdalen Sibylle ging ihm doch sehr ab, und jetzt erst war es ihm so recht leid, daß an der Geldforderung des Gratialamts seine Bewerbung um die herzogliche Bibliothekarstelle gescheitert war, und jetzt erst hob sich in ihm neben dem allgemeinen Abscheu gegen Süß ein höchst persönlicher, kräftiger Haß, dessen Unchristlichkeit er sich oft zerknirscht vorwarf. Er konnte ihn aber nicht loswerden, und wenn er im Wald seine sinnierenden Spaziergänge machte, so stand er oft in der Lichtung vor der Blumenschrift und verfolgte befriedigt die Linien: »Josef Süß Saujud Und Satanas«.
Einmal, wie es ihn wieder hingetrieben hatte, fand er, und das Herz stockte ihm, einen andern Gast vor der Blumenschrift,das Mädchen, das blauschwarze, mattweiße, die Prinzessin aus dem Himmlischen Jerusalem. Sie lag hingeworfen auf der Erde, verströmend. Eine dickliche Person von gutmütigem Aussehen bemühte sich ratlos und verstört um die wie ohnmächtig Hingestreckte.
Dem weichherzigen Magister schnürten sich die Eingeweide vor Mitleid. Es war keine Frage: hier einzugreifen war unbedingte Forderung christlicher Nächstenliebe. Dennoch brauchte er lange Zeit, bis er die Schüchternheit vor der ihm sehr jenseitigen Erscheinung überwand, und ganz heimlich fürchtete er bereits, die Prinzessin könnte aus ihrem Zusammenbruch auferstehen, eh daß er den Mut gefunden hätte, sie anzureden.
Aber schließlich überwand er sich, trat, über eine Wurzel stolpernd, näher, zog tief den Hut und äußerte unter mehrfachen Reverenzen: »Demoiselle! Demoiselle!« Die Dickliche fuhr erschreckt herum, die Prinzessin wandte ihm langsam Augen zu, die woanders waren und ihn nicht sahen. Er war kein großer Kombinierer, aber er begriff, daß die Verstörung der Dame mit der Blumenschrift zusammenhing, und froh über diese Erkenntnis sagte er hurtig, höflich und mit dem zärtlichst ergebenen Tonfall der Welt: »Ist er Ihnen auch zu nahe getreten, Demoiselle, der arge Jud? Ja, dieser ist wohl ein Verderber und stinkender Satanas.«
Aber seine freundlich gemeinte Anrede hatte eine erschreckende Wirkung, indem nämlich die Zarte aufsprang, ihn anflammte und mit unerwarteter Gewalt rief: »Verleumder! Niedriger, giftiger, schleichender Verleumder!« Der Magister tat einen bestürzten, unbeholfenen Sprung hinter sich; aber die Dame fuhr mit einer süßen, vorwurfsvollen Stimme unter stürzenden Tränen fort: »Und Blumen, unschuldige Blumen mißbrauchen zu solchem Gift und Niedrigkeit!«
Den Magister Jaakob Polykarp Schober, wie er die Liebliche aus dem Himmlischen Jerusalem so verloren weinen sah, überkam eine große Unsicherheit und Bedrängnis. Er stammelte ungeschickt: »Aber es war keineswegs böslich vermeint, Demoiselle.Es erweisen ihn doch seine Taten, Demoiselle. Es ist doch bekannt in allem Land, Demoiselle.« Er machte erneut etliche Reverenzen, während die Süße, Blauschwarze still und strömend vor sich hin weinte und die dickliche Person auf sie einsprach und sie wegzuziehen versuchte. Sie stützend, tröstend, führte sie sie endlich von den unseligen Blumen fort.
Aber der Magister konnte doch den Vorwurf, er sei ein giftiger Verleumder, nicht so auf sich sitzen lassen. Er zottelte nebenher, gekränkt, sich immer wieder verteidigend, es sei doch bekannt in allem Land, und es sei nicht böslich vermeint gewesen. Doch das Mädchen, und ihre
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