Jud Sueß
klein, stellte hübsche Posen, machte Mündchen. Ach, sie war so kindisch und dumm! Magdalen Sibylle mußte ihr soviel erklären. Sie war ja so gescheit, sie hatte sich mit so abgründigen Dingen beschäftigt wie Gott, und dem Tausendjährigen Reich und der philadelphischen Sozietät. Es wäre nett, eine so gescheite Freundin zu haben. Sie, Marie Auguste, ging fromm zur Kirche und beichtete. Aber sie wußte von Gott eigentlich nur, was im Katechismus steht, und verstand sich so recht nur auf gesellschaftliche und modische Fragen. Die Ärmel müßte Magdalen Sibylle übrigens kürzer tragen und bauschiger, das hebe die braunen, schönen Arme. Auch mit der Frisur sei sie nicht ganz einverstanden.
Sie legte die kleine, fleischige Hand auf die große, warme Magdalen Sibyllens, lächelte ein spitzbübisches, amüsiertes Lächeln: »Haben Sie übrigens bemerkt, Liebe, gestern, als dem Lord Suffolk das Jabot verrutschte, daß er ganz verzottelt auf der Brust ist? Er hat soviel Haare wie der Herzog.«
Marie Auguste war um jene Zeit schöner als je. Wie schwarze Seide glänzte das Haar, matt leuchtete, ein kostbares Pastell, das Gesicht mit den länglichen Augen unter der sehr heiteren Stirn. Der Gang war harmonisches, zufriedenes Schweben. Ihr Tag war erfüllt und befriedet, ihr einziger Wunsch, immer so weiter zu leben. Es stand an ihrer Straße Remchingen, der so zornig und männlich war und den man so amüsant und mit leiser Furcht ärgern konnte; einmal hatte er ganz im Ernst nach ihr geschlagen. Und es stand an ihrer Straße der junge Lord Suffolk, der wortkarg war und der, trotzdem seine Obliegenheiten in seiner Heimat nach ihm schrien, sein Leben damit vertat, sie ernsthaft und unentwegt anzustarren. Vielleicht wird sie ihn eines Tages erhören. Warum soll man einem jungen Menschen nicht gnädig sein, der so seriöse Beweise seiner Neigung gibt? Vielleicht auch wird sie ihn schlecht behandeln, daß er, und das ist doch vielleicht das Interessantere, sich erschießt. Und es stand an ihrer Straße der Herr von Riolles, der entzückend häßlich war und mit seiner leisen, hohen Stimme die boshaftesten Witze machte, vor allemüber plumpe Frauen. Und es stand ganz in der Ferne ihr Jud, auf den sie sehr stolz war und der ihr mit der größten Ehrerbietung die insolentesten Komplimente zu sagen wußte.
Und sie trieb die Männer an. Und sie jagte und sie hielt Feste und sie sah Komödie und sie spielte selber Komödie und sie fuhr spazieren und sie reiste ins Bad und nach Regensburg und Wien. Und sie war sehr glücklich.
Magdalen Sibylle aber schaute ihr zu wie einer kleinen, spielenden Katze. Ach, wer so hinhüpfen könnte über die Dinge, und nichts rührt viel tiefer als an die Haut, und man ist leicht und schwerlos und lächelt.
Als die Saat höher wuchs, als Felder, Wiesen, Blumenbeete Farbe und Gesicht bekamen, wuchsen Schriftzeichen aus dem Boden des Herzogtums. Es war wie eine geheime Verabredung. An den Rändern der Städte, überall im Land, hatten die Bauern in ihre Äcker, Wiesen, Gärten mit Kornblumensamen, mit Mohn- und Kleesamen, aber auch mit dem Samen edlerer Blumen Schriftzeichen gesät. Nun wuchs es hoch, nun wuchs es aus dem schwarzen Boden ans Licht, mit ungefügen Buchstaben und mit zierlich gedrechselten, nun schrie es rot mit Mohnblüten, blau mit Kornblumen, gelb mit Löwenzahn, aber auch mit Lilien weiß und sehr künstlich: »Süß Saujud.« Oder auch: »Josef Süß Saujud und Verderber.«
Da und dort griffen die Behörden ein, aber gegen die Gewohnheit läßlich und ohne Strenge. Man schmunzelte, der Herzog lachte, Marie Auguste fuhr eigens vor die Stadt, ein derartiges besonders kunstvolles Arrangement amüsiert zu besichtigen. Sie erzählte dann ausführlich Magdalen Sibyllen davon, die unter einem Vorwand nicht mitgekommen war.
Auch in dem Forst von Hirsau, in der großen Wiese der Lichtung nahe bei dem Holzzaun des Hauses mit den Blumenterrassen, hatte ein Bauer die Inschrift gesät. Es war ein junger Mensch, und er saß in der Brüdergemeinde des Magisters Jaakob Polykarp Schober. Hier in dem Bibelkollegium war es seit dem Weggang Magdalen Sibyllens lahm und fahlgeworden. Wohl waren es stille, demütige und bescheidene Menschen, die da zusammensaßen. Aber daß die Tochter des Prälaten unter ihnen war, hatte sie doch eigentlich sehr stolz gemacht, und nun sie fehlte, ging es in dem kleinen Kreise recht trist und geduckt zu. Auch kamen so merkwürdige Gerüchte über Magdalen Sibylle
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