Jud Sueß
Sie sei natürlich nicht die Tochter des Finanzdirektors, sie träume sich das nur so zusammen. Und er solle um des Himmels willen keinem Menschen von der Sache erzählen. Dem Magister, der sonst sehr langsam von Begriffen war und dem von der Begegnung und dem ganzen Auf und Ab wirbelte, sah, daß die ganze Seligkeit in wenigen Sekunden für immer vergehen werde, und da faßte er unerwartet einen gar nicht demütigen Entschluß. Er sagte, er sei es seiner christlichen Ehre schuldig, die Demoiselle ganz darüber aufzuklären, daß er kein schurkischer Verleumder sei, und er müsse sie zu solchem Behuf unbedingt noch einmal und ausführlich sprechen. Nur wenn ihm das eingeräumt werde, verpflichte er sich, reinen Mund zu halten. Die Dickliche, unter solchem Druck, sagte zaudernd für einen spätern Tag zu und verschwand mit der Prinzessin, die wieder klagte: »Und Blumen so zu vergiften, arme, unschuldige Blumen!«
Um Jaakob Polykarp Schober aber war von jenem Tag an viel Wichtigkeit und Gehobenheit. Gott hatte ihn an den Hebel großer und schwerer Ereignisse gestellt. Denn es war klar,daß die Prinzessin doch die Tochter der hebräischen Exzellenz war, und was das dickliche Frauenzimmer geredet hatte, war Schwatz, und er war klug, ihn führte man nicht so leicht hinters Licht. Und nun liegt es an ihm, die Seele der Jungfrau zu retten, ja, vielleicht wird er auf diesem Weg an den Juden selber gelangen und ihm ins Gewissen reden; denn es ist doch keineswegs ausgemacht, daß ein Jud von vornherein kein Gewissen hat. Und wenn der Herr Zebaoth seiner Rede Kraft verleiht, dann wird vielleicht durch ihn das ganze Herzogtum von seinem heillosen Druck Erlösung finden.
In solcher Erwartung ging der pausbäckige Magister herum, und er war voll Gehobenheit, und es war großes Licht um ihn. Er ließ sich auch in seiner Zuversicht nicht stören, als er hörte, daß die Bibliothekarstelle mit einem ganz Unwürdigen besetzt wurde, der außer seinen Talern keinerlei Eignung mitbrachte. Die Gnade war jetzt sichtbarlich über ihm, seine Rede floß ihm lieblich vom Mund, ja, es traf sich, daß sich ihm die Worte zu Reimen fügten. So dichtete er gerade nach der Botschaft von der Besetzung der Bibliothekarstelle ein Lied, das er »Nahrungssorgen und Gottvertrauen« betitelte und das mit den Versen anhub:
Solang es anoch eine Krähe,
Solang es einen Sperling gibt,
Solang ich andere Tiere sehe,
Solange bin ich unbetrübt.
Wenn die nicht ohne Nahrung sind,
Warum denn ich als Gotteskind?
Und ein anderes hieß »Jesus, der beste Rechenmeister« und bekannte:
Mein Jesus kann addieren
Und kann multiplizieren
Auch da, wo lauter Nullen sind.
Beide Lieder wurden im Bibelkollegium demütig bestaunt. Die Brüder und Schwestern lernten sie auswendig, sie sangen sie in allen Lebenslagen, wenn sie in großer Not waren undwenn sie günstig verkauften und wenn sie starben und wenn sie Kinder kriegten. Den Jaakob Polykarp Schober befriedigte das bei aller Demut sehr, und es tröstete ihn über den Weggang Magdalen Sibyllens.
Jantje, die fette Zofe, erzählte schuldbewußt Rabbi Gabriel von dem unglücklichen Zusammentreffen. Der Rabbi winkte ihr zu gehen, schwieg.
Die Zofe gegangen, verdüsterte sich noch schwerer das steinern mürrische Gesicht, zackten sich noch schärfer die drei senkrechten Falten über der Nase. Das Fragen verhindern. Das Kind durfte nicht fragen. Schütz ihn, Himmel und alle wohlwollenden Engel, daß das Kind nicht frage. Ihr lügen konnte er nicht. Ihr das Bild des Vaters zerhauen, das leuchtende, er hätte es auf sich genommen, aber damit wäre ihm ein letztes entglitten. Lieber hätte er seine Blumenterrassen in Jauchgruben verwandelt als das.
Und die Seraphim und Ophanim schützten den traurigen, mürrischen Mann. Naemi fragte nicht. Wohl, er sah es, öffnete sie einmal die Lippen schon, wölkte sich schon ihr Aug. Doch sie schwieg.
Wäre Frage nicht Zweifel gewesen? Nein, ihr Vater war herrlich und in großem Glanz, und die Verleumdung der Heiden und Philister schmutzte ihm nicht die Sohle. Die blockigen Buchstaben der hebräischen Schriften schichteten sich zu Quadern seines Ruhmes. Er war Simson, der die Philister schlug, er war Salomo, der weise war über alle Menschen, er war, und dies glitt immer öfter in ihre Träume, er war Josef, der milde, kluge, den Pharao setzte über alles Volk und der das Volk zinste für die künftige Hungersnot. Aber sie waren töricht und sahen seine Weisheit nicht ein. Oh,
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