Jud Sueß
wenn er käme, endlich! An seinem Hals verströmen! Vor seinen feuervollen Augen verbrennt, verweht in Asche das Geschwätz des dicken jungen Menschen.
Rabbi Gabriel aber las in der Schrift des Meisters Isaak Luria Aschkinasi, des Kabbalisten: »Es kann geschehen, daß ineinem Menschenleib nicht nur eine Seele das Erdendasein von neuem durchmacht, sondern daß zu gleicher Zeit zwei, ja mehrere Seelen sich mit diesem Körper zu neuer Wanderung verbinden. Der Zweck solcher Vereinigung ist ihre gegenseitige Unterstützung in der Sühnung der Schuld, derentwegen sie die neue Wanderung erleiden.«
Die Wange in die Hand gestützt, saß er, sann er, zwang er die Bilder zurück, die er auf seinen Wanderungen durchforscht. Sah die Linien der maßlosen Berglandschaft, des Steins, der Ödnis, des zerschrundeten Eises. Das zarte, höhnische Leuchten der klaren Gipfel darüber, die schattende Wolke, den Vogelflug, die finster tolle Willkür der übers Eis verstreuten Blöcke, die Ahnung tieferer Menschen, weidenden Viehs. Er suchte die Entsprechung in jenem Antlitz, daran er gebunden war.
Das Zimmer um ihn vernebelte, die Bücher vor ihm, so senkte er sich in jenes Gesicht, prüfte Zug um Zug. Er sah die wölbigen Augen, die kleinen, üppigen Lippen, das reiche, kastanienfarbene Haar. Er fand Haut und Fleisch und Haar, nichts sonst.
Da schüttelte er die Schultern, saß schlaff, müd, dicklich, atmete schwer, knurrend, wie ein Tier, das zu hoch beladen den Hang nicht weiter hinauf kann.
Bei Heilbronn lieblich zwischen Weinbergen lag das Schloß Stettenfels. Der Graf Johann Albrecht Fugger saß darauf, Jesuitenzögling, eifervoller Katholik, befreundet mit dem Würzburger Fürstbischof. Sein Schloß war der schwäbischen Reichsritterschaft inkorporiert, er besaß es ebenso wie seine Herrschaft Gruppenbach, das Dorf unterm Schloß, als württembergisches Lehen. Schon unter Eberhard Ludwig hatte der regsame Herr mehrmals um Gestattung katholischen Privatgottesdienstes nachgesucht, immer vergebens. Jetzt unter dem katholischen Herzog nahm er ohne Federlesen Kapuziner ins Schloß, begann auf seinem Berg weitläufig Kloster und Kirche zu bauen. Es unterstützte ihn der Fürstbischofvon Würzburg, Kollekten liefen für ihn an den katholischen Höfen, er war auf vorgeschobenem Posten ein wackerer Kämpfer der Kirche, sehr in Sicht.
Offener Bruch der Gesetze, Sturm im Parlament, drohende Aufforderung an das Kabinett, dem frechen Unwesen zu steuern. Verärgert, mit gebundenen Händen der Herzog. Er hatte in jenen Religionsreversalien ausdrücklich auf alle Einmischung in solche Fragen verzichtet, hatte das Kirchenregiment dem Ministerium übertragen, auf seine bischöflichen Rechte über die Evangelischen, auf die persönliche Teilnahme an Konsistorialdingen in aller Form resigniert. Nirgends sollten, hatte er feierlich eingeräumt, katholische Kirchen errichtet werden, der katholische Gottesdienst sollte einzig beschränkt sein auf seine Privatandacht.
Der Fall lag klar. Harpprecht, der Jurist, hatte das Referat in der Kabinettssitzung, das Korreferat Bilfinger. Die beiden ehrlichen, geraden Männer waren im Innersten froh, daß diese Affäre der Kompetenz des Herzogs entzogen war. Mit tiefem Mißbehagen sahen sie das Land mehr und mehr verkommen, alle Ämter verlottert und korrupt. Wenn sie im Amt blieben, war es, weil sie nicht auch in ihre Stellen Kreaturen des Süß einrücken sehen wollten. Hier endlich war ein Fall, wo kein Herzog und kein Jud einreden durfte; hier konnte man den evangelischen Brüdern erweisen, daß das Land, so verkommen es von außen sah, sich in Gewissensdingen, in Religionssachen fest und bieder und ohne leisesten Flecken hielt. Gegen die zögernden und bedenklichen Schütz und Scheffer setzten Harpprecht und Bilfinger einen Beschluß durch, daß eine Untersuchungskommission, eine Lehensvisitation nach Gruppenbach zu dem Grafen entsandt wurde, an ihrer Spitze der Regierungsrat Johann Jaakob Moser, der Publizist, erst neuerdings wieder durch Wort und Tat und Schrift als unbeugsamer Protestant erwiesen. Er bekam weite Vollmacht.
Er fand den Grafen höhnisch, trotzig, durchaus nicht zur leisesten Unterordnung geneigt. Er ließ die Regierungskommissionvor dem Schlosse stehen, in Wind und Wetter, schlecht und hochmütig grüßend. Als die Herren auf den Neubau von Kloster und Kirche wiesen, wo schon hoch am Turm gearbeitet wurde, fragten, wie er gegen das ausdrückliche gesetzliche Verbot und gegen
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