Judassohn
zurückkehrte. Aber die Tenjac wusste, wie man sich verbarg.
Keine Spur von ihr.
Ihre Kraft ließ nach. Keuchend hielt Sandrine in irgendeiner Straße an und lehnte sich an die Hauswand.
Leichter Nebel kam auf, der von der Seine in die Straßen und Gassen sickerte. Auf den wenigen schneefreien, kalten Steinen bildete sich eine hauchdünne Eisschicht, wie sie merkte. Sie war rechtzeitig stehen geblieben, bevor sie stürzen und sich Knochen brechen würde.
Nicht, dass es eine Rolle spielte. Ihre Verletzungen heilten von selbst.
Nicht alle. Nicht die, die am meisten schmerzen.
Sandrine presste die Hand auf Herzhöhe gegen die Brust.
Dass man jemanden derart vermissen kann.
Ein bekannter Geruch stieg in ihre Nase, den sie schon sehr lange nicht mehr wahrgenommen hatte. Doch sie hätte ihn niemals vergessen.
Die? Hier?
Ihre Fänge wuchsen unwillkürlich, und die Fingernägel wurden zu langen Krallen.
Das leise Trappeln näherte sich von zwei Seiten, rote Augenpaare glühten im Nebel wie Positionslichter.
Zuerst wurde der schwarze Wolf sichtbar, der weiße dagegen schälte sich viel später aus dem Dunst. Seine Fellfarbe gab ihm bei dieser Witterung eine gute Deckung. Die Tiere hatten mit dem dünnen Eisfilm auf den Steinen keinerlei Schwierigkeiten.
»Seid ihr mir aus dem Gévaudan gefolgt?«, sagte sie zu ihnen und machte sich bereit, sich zu verwandeln. Furcht breitete sich in ihr aus. Als Luchs stünden ihre Chancen auf eine Flucht besser. Sie fasste es nicht, dass die Loup-Garous sie nicht vergessen hatten. Es passte zu ihrer bisherigen Pechsträhne, auf diese Kreaturen zu treffen.
Es war nicht vorgesehen, in Paris zu sterben.
Sandrine behielt beide im Blick, rieb die angstfeuchten Hände an ihrem Mantel ab.
Die Werwölfe blieben stehen und belauerten sie … oder … bewachten sie?
Was wird das?
Dann hörte Sandrine die gemächlichen Schritte. Jemand spazierte durch den Nebel auf sie zu und hatte alle Zeit dieser Welt.
Als die Umrisse eines Mannes in einem langen Mantel und mit einem Dreispitz auf dem Kopf zwischen den beiden Loup-Garous auftauchen, wusste sie, wer es war, noch bevor sie ihn roch.
Der Comte de Morangiès!
»Sennerin«, begrüßte er sie mit deutlich tieferer Stimme als bei ihrem ersten Zusammentreffen. »Mit dir habe ich nicht gerechnet.«
»Mon Seigneur«, gab sie zurück und verbeugte sich. Ihr Herz pochte schnell. »Ihr … seht mich … ebenso … verwundert.«
Er näherte sich ihr, hielt einen dicken Ebenholzgehstock in der Hand. »Was machen die Geister des Gévaudan? Leisten sie dir auch in Paris gute Dienste, oder hast du andere Mächte gefunden? Flussgespenster aus der Seine womöglich?« Er klang weder spöttisch noch überheblich.
Das gab Sandrine Zuversicht, dass er nicht wegen ihr gekommen war. »Mon Seigneur, meine Kräfte sind verlässlich, wo auch immer ich bin.«
»Eine gute Antwort, Sennerin.« Er stützte den Stock auf. »Also: Was machst du in Paris? Ich glaube nicht an Zufälle.«
Sie beruhigte sich Atemzug um Atemzug. »Ich geriet in den Dörfern in Schwierigkeiten, mon Seigneur. Man hatte sich das Maul über mich zerrissen.«
Mich würde interessieren, was er mit den Loup-Garous zu schaffen hat. Wie hat er sie bändigen können?
»Und was sagen dir die Geister über Tanguy Guivarch? Lebt er noch, oder ist er tot?« Der Comte ließ den Gehstock kreisen. Vorgetäuschte Gelassenheit.
»Die Geister haben mir nichts über ihn gesagt, aber sein Unglück wird nicht aufgehört haben. Dafür hat meine … dafür ist gesorgt, mon Seigneur.« Sandrine wollte zu gerne wissen, was der Comte hier machte.
»Das freut mich zu hören.« Er lächelte. »Ich werde dir nicht sagen, welchen Geschäften ich in Paris nachgehe. Aber wo wir hier durch eine Fügung«, er betonte es, damit sie den Unterschied zu einem Zufall verstand, »zusammengeführt wurden, möchte ich mich bei dir entschuldigen.«
»
Entschuldigen
, mon Seigneur?« Sandrine konnte die Überraschung nicht verbergen.
»Ja.« Die Spitze des Stocks zeigte zuerst auf den schwarzen, dann den weißen Loup-Garou. »Sie gestanden mir, dass sie dich im Rausch beinahe getötet hätten. Sie haben dafür ihre Strafe erhalten, und ich war sehr froh, dass du überlebt hast.« Er wies nun auf sie. »Du, die Geister und Guivarch. Ihr seid mir sehr wichtig.«
Sandrine erinnerte sich an jene Nacht auf dem Berg und dass die Loup-Garous den Henker zerfetzt hatten. »Warum haben sie Penchenat getötet?«
Der Comte
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