Judassohn
Armbewegungen nach machte sie sich an etwas zu schaffen. Es klirrte mehrmals, Metall fiel zu Boden. »Ich bringe dich raus, bevor er zurückkommt.« Sie setzte ihr einen Trinkbeutel an die Lippen. »Hier.«
Der Geschmack von Blut breitete sich in Sandrines Mund aus und weckte die Lebensgeister. Hastig sog sie den Beutel leer. Mit jedem Schluck ging es ihr besser, ihre Sicht schärfte sich.
Wie bin ich hierhergelangt?
Sandrine sah sich um. Gemauerte Wände mit Eisenschellen daran umgaben sie, ein Kreuzgratgewölbe hielt die Decke. Sie selbst lag auf einem Metalltisch, ihre Fesseln baumelten gelöst herab und pendelten leicht.
Ich bin nackt!
Anjanka bückte sich und reichte ihr einen zweiten Beutel mit Blut aus dem mitgebrachten Rucksack. »Wie dünn und ausgemergeltdu geworden bist«, sagte sie mitfühlend. »Verzeih mir, dass ich nicht früher kommen konnte, um dich zu befreien.«
Erst jetzt wurde Sandrine sich einer Sache gewahr: Die Tenjac besaß nur noch den linken Arm! Der rechte fehlte ihr, einschließlich der Hälfte der Schulter. »Was«, sagte sie krächzend, »ist passiert? Wer hat dir das angetan?«
Anjanka nickte zur angelehnten Kerkertür. »Wir sollten das draußen besprechen. Octavius sitzt mit einem der Barone zu Tisch. Wer weiß, ob sie nach dir sehen wollen, um dich zu …. was weiß ich, was sie tun wollten.«
»Waren wir nicht in Frankreich und haben diesem Marat hinterherspioniert?« Sandrine hatte das dringende Bedürfnis, den Murony für seinen Verrat zu töten. »Sagtest du, bei ihm ist
ein Judassohn?
«
»Ja. Es ist der Baron, für den er die Metunova ausspioniert hatte«, berichtete sie schnell. »Octavius hat uns und die Baronin verraten. Er arbeitet nur für seinen eigenen Reichtum und schert sich nicht um Ehre.« Sie nahm einen dritten Beutel aus dem Rucksack. »Mehr habe ich nicht mehr für dich.«
»Es tut mir gut.« Sandrine hatte ihr Körpergefühl vollständig wiedererlangt. Auch der Zorn auf den Hünen spielte dabei eine große Rolle. »Was ist mit deinem Arm geschehen, Geliebte?«
Anjanka fühlte sich erkennbar unwohl und war ängstlich. Sie hatte durch ihren Einbruch in den Palast schon mehr geleistet, als sie sich gewiss selbst zugetraut hatte. »Wir wurden in der Brière voneinander getrennt. Wir haben … plötzlich warst du verschwunden, und als ich mich zu unserem Treffpunkt begeben wollte, standen zwei Loup-Garous vor mir, die mich angriffen.«
»Die Wächter des Comte!«
»Nein. Eine weiße und eine rötlich braune Bestie. Sie haben mich schwerst verwundet und ließen mich liegen, weil sie glaubten, ich sei tot.« Anjanka atmete schnell. »Und ich dachte wirklich, dass meine letzte Stunde geschlagen hatte. Ich war eineeinzige Wunde, und meinen Arm haben sie mir abgebissen. Ich konnte ihn nicht wieder ansetzen und verheilen lassen. Es … war zu spät.« Die Furcht, die nun in ihrem Blick stand, war eine andere. »Sag: Liebst du mich noch immer?«
»Was soll diese Frage?«
»Wegen meines Makels«, flüsterte Anjanka beschämt. »Ich war perfekt, das höchste Maß für alle Frauen, und jetzt …«, sie wandte sich ab, »… jetzt bin ich ein Krüppel!«
Ich habe sie in der Brière allein gelassen. Sie hat niemals gegen die Loup-Garous bestehen können.
Sandrine wurde von Schuldgefühlen überfallen. Der Anblick ihrer leidenden Gefährtin tat ihr in der Seele weh. Sie ließ sich vom Tisch gleiten und begab sich hinter Anjanka, küsste ihr schwarzes Haar und drehte sie um. »Ich werde dich immer lieben«, versprach sie. »Du hast mir das Leben gerettet. Ich stehe unendlich in deiner Schuld.«
»Es gibt keine Schuld. Die Liebe verlangte es, und für die Liebe überwinde ich sämtliche Hürden.« Die Tenjac legte den Arm um sie, zärtlich küssten sie sich. »Nun lass uns verschwinden!«, bat sie flüsternd. »Wir müssen fort von hier und uns aus den Intrigennetzen befreien, die sie überall auswerfen.«
»Ich glaube, dass es mit den Vampiren umso schlimmer wird, je weiter wir nach Osten gehen.« Sandrine sah das Gévaudan vor sich. »Zurück nach Frankreich. Wir werden uns da ein Zuhause suchen, in dem wir sicher sind. Vor Vampiren jeglicher Art und vor den Werwölfen und sonstigen Gestalten.« Sie küsste Anjanka auf den Mund, die eben zu Protest ansetzte. »Vertraue mir. Ich lasse dich niemals mehr allein. Du wirst sicher sein.«
Die Tenjac seufzte und legte den Kopf gegen ihre Brust. »Ich glaube dir nur zu gern.«
Sandrine musste auf die verstümmelte
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