Judassohn
übergegriffen: Elena und Emma.
Es brachte sein Innerstes zum Kochen, wenn er mit ansehen musste, wie sehr sich Scylla um ihre zwei Nachfahren kümmerte. Zum ersten Mal näherte sie sich ihren Sprösslingen offen, unternahm etwas mit ihnen, verbrachte Nachmittage und Abende mit den beiden, als gehörte sie zur Familie. Letztlich war es auch so.
Die Frauen verstanden sich gut, die kleine Elena sah in ihr die Tante, die sie niemals gehabt hatte.
Damit hast du mir eine Schwäche offenbart, die ich ausnutzen werde. Um dich zu verletzen und dir Seelenqualen zu bereiten, die du mir hast angedeihen lassen!
Harm hatte sich im Hotel gegenüber eingenistet und verfolgte, was sich in der Wohnung auf der anderen Seite der Ritterstraße tat. An allem hatte er seitdem teil. Er hörte zu, soweit es ihm möglich war, und lernte das Leben von Emma Karkow kennen, damit er es umso gründlicher zerstören konnte.
Ah, da ist die Große!
Wenn Scylla nicht in der Wohnung war, flog er in seiner Windgestalt hinein und machte sich unsichtbar, um weitere Details zu erforschen. Elenas Schlaflied, die Marke der Wimperntusche, die Emma benutzte, die Standardeinkäufe, Bankverbindungen, häufig genutzte Telefonnummern, Klatschblätter, Tagebucheinträge mit ihren kleinen und großen Wünschen samt Sehnsüchten. Einfach alles. Hätte Harm sie nicht gehasst, würde sich aus seinen Beobachtungen durchaus das Bild einer liebenswerten, leicht chaotischen und zu gutgläubigen Frau ergeben, die als alleinerziehende Mutter einen tollen Job machte.
Aus den ganzen Informationen aber hatte er eine neue Existenz erschaffen: den Traummann für Emma.
Genau den wirst du heute Abend im Schauspielhaus treffen, widerliche Schlampe.
Harm sah zu, wie Emma aus der Dusche stieg, sich abtrocknete und in die Unterwäsche schlüpfte: schwarzer Slip, roter BH. Der Alltagsunderdress bestand aus dem, was sie zuerst aus der Schublade zu fassen bekam. Das war sein Zeichen, sich ebenfalls vorzubereiten.
Er wandte sich dem Spiegel zu und konzentrierte sich.
Die Züge veränderten sich, formten ein neues Männergesicht, das eine gute Mischung aus Emmas Lieblingsschauspielern war. Ein bisschen Clooney, ein bisschen Depp, eine Prise unrasierter Lawry. Zufrieden betrachtete er seine Illusion.
Damit wäre ich der neue Kinostar.
Wie es sich für einen Besuch im Schauspielhaus gehörte, legte er seinen Smoking an und warf sich einen grauen Mantel über, in dem ein feines rot-weißes Karomuster eingewoben war. Harm hatte sich ihren Lieblingsherrenduft besorgt und besprühte sich damit.
Wenn ich es darauf anlegen würde, dürfte ich sie heute noch ficken. Aber wer will das schon?
Er verließ das Zimmer und eilte auf die verschneite Straße. Als er nach rechts schaute, kam Emma aus dem Durchgang und schlug den Weg zum Schauspielhaus ein.
Schnell wechselte er die Gehwegseite, damit er vor ihr herlief, und nahm den Stadtplan aus der Tasche. Sie sollte ihn riechen, bevor sie ihn sah.
Ihre Schritte näherten sich und wurden kurz langsamer. Der Duft wirkte.
Jetzt!
Harm wandte sich um und drehte sich genau in sie hinein, den Stadtplan in der Rechten haltend. Emma prallte gegen ihn und ließ ihre Tasche fallen, die er geschickt auffing und vor einem Sturz in den Matsch bewahrte. »Verzeihen Sie, Madame«, sagte er gespielt zerknirscht und ließ seinen englischen Akzent durch das Deutsch blitzen. »Ich war unvorsichtig.«
Emma setzte zu einer Erwiderung an, sah in sein Gesicht – und sie wurde für ganze drei Sekunden sprachlos. Der Duft und die für sie designten Züge wirkten auf sie. Entkommen unmöglich.
Ja, hier steht dein fleischgewordener Traum, du Fotze! Schau mich an!
»Ich … nicht so … macht nichts«, brachte sie stotternd hervor und konnte die Augen nicht abwenden. »Verzeihen Sie, aber ich dachte … Sie sehen aus …« Emma rettete sich in ein Verlegenheitslachen.
Er hielt ihr die Tasche hin. »Nehmen Sie sie, Madame. Bevor Sie denken, ich hätte Sie absichtlich gerammt, um Sie zu bestehlen.« Das Lächeln, das er ihr schenkte, zwang sie in die Verliebtheit.
»Nie im Leben«, sagte sie sofort. »Was suchen Sie denn? Sind Sie auf dem Weg zu einer Hochzeit?«
»Nein. Ich möchte zum Schauspielhaus«, antwortete er. Der Köder war ausgeworfen.
»Wie schön! Da bringe ich Sie hin.«
»Oh, das ist sehr lieb. Aber haben Sie denn nichts Besseres zu tun, als Touristenführer zu spielen?«
Emma schüttelte den Kopf. »Nein, Mister ….«
»Nennen Sie mich
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