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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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schwere Muskete und kein Blei mitschleppen.
    Tanguy stakte sein Boot aus dem Liebesversteck hinaus auf den kleinen Kanal, von denen es mehr als hundert in der weitläufigen, viele Meilen großen Brière gab. Schilfmeer, Moor, feste Inseln und Wasserwege wechselten einander ab und waren den Einwohnern – den Brièrones – Torfgrube, Jagdgebiet und Arbeitsstätte zugleich.
    Tanguy steuerte die Barke gemächlich nach Hause.
    Gwenn …
    Sie stammte aus Guérande und war die jüngste Tochter eines Salzbauern. Tanguy hatte es durch seine Tüchtigkeit geschafft, ihn davon zu überzeugen, dass er der Richtige für Gwenn war. Er und kein anderer.
    Ein paar Vögel schwammen vor ihm davon. Er fuhr an Seerosen und treibenden Torfpolstern vorbei. Der Wind vertrieb den brackigen Geruch, der vor allem bei starker Hitze aufkam.
    Er mochte das grüne, raschelnde Labyrinth, das etwas Verwunschenes besaß. Angst spürte er niemals, weder nachts noch tagsüber – auch wenn es unheimliche Legenden gab. Wie der Riese, der in der Brière hauste und nach den Lebenden rief. Wer ihm antwortete, so sagte man, war seines baldigen Todes sicher.
    Gehört habe ich ihn noch nie.
    Tanguy bewegte den Kahn mit routinierten Bewegungen. Leise plätscherte es, wenn das Holz eintauchte. Das Staken war eine Kunst für sich, und wer den Stab, die Pigouille, verlor, konnte mit dem Boot hilflos im Moor liegenbleiben.
    Ich hoffe, ich werde es auch niemals tun.
    Bald hatte er den Anlegesteg erreicht, von dem aus ein breiter Pfad ins Dorf führte. Auf ihm schleppten er und seine drei Brüder das geschnittene Schilf und verarbeiteten es in der Scheune weiter, um es als Dacheindeckung zu verkaufen. Das Reet der Brière versorgte die ganze Region.
    Tanguy sprang hinaus, vertäute die Barke und nahm die Enten. Leise pfeifend eilte er den Weg entlang zum Weiler.
    Kerhinet war nicht mehr als eine kleine Ansammlung von gedrungenen Granithäusern am Rand des Moors, mit Reetdächern und bunten Türen und Fensterrahmen, die blau, grün und weiß bemalt waren. Das Grau der Steine und der verwitterten Dächer unterstrich die Lebendigkeit der Farben.
    Das Haus seiner Familie mit der angrenzenden Scheune lag im Mittelpunkt des Weilers. Von weitem sah er seine älteren Brüder in der Sonne schuften. Sie stapelten frisch gestochene Torfbarren aufeinander, damit die Wärme sie trocknete. Brennmaterial für den Winter.
    »Hier«, rief er und schwenkte die Enten. Mit den Geschwistern sprach er ein Gemisch aus Bretonisch und Französisch. Meist jedoch verfielen sie gänzlich ins Bretonische, auch wenn ihre Mutter Wert darauf legte, dass sie beides beherrschten.
    »Oha«, rief Gurvan und richtete sich auf. »Da kommt unser Abendessen.« Finger und Unterarme waren schwarz vom feuchten Torf. »Gut gemacht!«
    »Dem Jäger gebührt aber noch mehr Ehre: Hol dir einen Eimer heißes Wasser und rupf sie«, steuerte Pierrick bei, der zwei Jahre älter war als Tanguy. Die Brüder ähnelten sich sehr. »Mit Federn mag ich sie nicht essen.«
    »Oh, ich habe sie geschossen. Mehr muss ich heute nicht machen«, erwiderte er und kam näher. Er sah, dass seine Brüder nicht nur Torf gestochen, sondern auch einen dicken Stamm einer uralten Mooreiche aus dem Sumpf mitgebracht hatten. Wie alt diese Mortas waren, wusste keiner genau zu sagen. Das steinharte Holz eignete sich perfekt zum Schnitzen von Pfeifen. Pierrick vertrieb sich damit die Zeit und verdiente ein Zubrot für die Familie. Sie verkauften sich recht gut auf dem Markt.
    Tanguy roch den Duft von gebackenen Galettes. Er kam eindeutig aus dem offenen Fenster ihres Hauses.
    Das passt mir gut! Lieben macht hungrig.
    Schon öffnete sich die Tür, und Mutter Mariette brachte eine Holzplatte, auf der sich ein Stapel der dünnen, weichen Fladen aus Buchweizenmehl türmte. Er war mit Honig übergossen, wie Tanguy sah; dazu reichte sie Gerstenkaffee aus einem verbeulten Kessel. »Ah, der Jägersmann ist zurück.«
    Tanguy hob wieder die Enten. »Abendessen, Maman.«
    »Sobald du sie gerupft hast, bekommst du was von den Galettes ab«, warf Pierrick rasch ein und begab sich an den Trog, um sich die Hände zu waschen.
    »Falls dann noch welche übrig sind«, ergänzte Gurvan und schob sich Tanguy grinsend in den Weg. »Maman hat sie für uns gemacht.« Er zeigte ihm seine dreckigen Finger. »Harte körperliche Arbeit. Nicht wie du.«
    »Es ist genug für alle«, beruhigte Mariette die Geschwister lachend. »Pierrick, geh und hol noch die Becher.«

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