Judassohn
Schlauch heraus. Er wusste, dass Malo daran verbluten würde.
Du wirst meiner Frau nichts mehr antun
, dachte er mit grimmiger Erleichterung. Dass mit dem Pistolengriff brutal auf ihn eingeschlagen wurde, spürte er kaum. Er konzentrierte sich einzig darauf, den Räuber nicht freizugeben.
»Stirb endlich!« Malo biss ihm in den Hals, spie einen Brocken Fleisch aus – dann sank er nach hinten und blieb liegen. Der Blutverlust hatte ihn ohnmächtig werden lassen.
Ich habe es geschafft!
Tanguy war zu benommen, um sich zu rühren. Sein Hals brannte, fühlte sich heiß an. Zwei Kämpfe in einer Nacht kosteten ihn enorme Kraft.
Die Zeit müsste Gwenn gereicht haben.
»Hier! Hier drüben liegen zwei!«, hallte der Ruf.
Das Trampeln vieler Schritte näherte sich. Er sah Stiefel um sich herum stehen, die im Mondlicht grau und schwarz wirkten.
»Merde!«, sagte die helle Stimme, die er nur auf einem Ohr deutlich vernahm. »Er hat Malo umgebracht.«
»Was für eine Schweinerei«, meinte eine zweite Stimme, die durchaus einer Frau gehören konnte. »Er hat ihm die Beinader mit den Fingern herausgerissen.«
Tanguy wurde von einem Absatz auf den Rücken gedreht. Über ihm schwebten zwei Gesichter, von denen er nur die Kinnpartien und Lippen erkannte; die Schatten der Hüte verdecktenden Rest. Einer trug einen dünnen Flaum, der andere ein kurzes braunes Knebelbärtchen.
»Ziemlich jung. Und mutig«, befand der Flaum ohne Groll. »Er hat seine Kleine vor Malo schützen wollen.«
»Hat er auch geschafft. Gut für die Kleine.« Der Knebelbart langte an die Seite, ein leises Schleifen erklang. »Aber sie wird um ihren Retter trauern müssen. Ein Leben für ein Leben.«
Tanguy sah die lange, schmale Klinge eines Rapiers, die sich auf sein Herz richtete und im Licht des Mondes schimmerte.
Gott, rette mich! Ich bin nicht bereit!
»Nein«, stammelte er flehend. »Bitte. Ich musste …«
»Ich weiß, Kleiner«, unterbrach ihn der Flaum. »Ich verstehe, was du getan hast. Das würde ich für meine Frau auch tun.«
»Sei stolz! Malo war ein Tier. Er hat von sich selbst stets behauptet, dass sein Vater ein Bär gewesen sei. Du hast ihr viel erspart.« Der Knebelbart klang gleichmütig. »Aber es bleibt dabei: Ein Leben für ein Leben.« Der Arm bewegte sich abrupt nach unten.
Tanguys Worte drangen nicht mehr über seine Lippen. Der glühende Stich durch sein Herz wirkte lähmend und raubte ihm die letzte Kraft. Aus seinem erneuten Bitten wurde ein langgezogenes Stöhnen, das ihm fremd erschien, als käme es von einer anderen Person. Es wurde leiser, gleichzeitig schien es dunkler im Wald zu werden.
Gnädiger Gott, ich sterbe!
Tanguy wollte schreien und um sich schlagen, um den Tod in die Flucht zu treiben, der nach ihm griff.
Nein! Ich will nicht sterben! Zum Teufel mit dir, Gevatter!
Der Flaum und der Knebelbart versanken in Schwärze, wurden von einem finsteren Meer verschlungen.
Gwenn! Ich will zu Gwenn, koste es, was es wolle!
Kälte kroch in ihn. Die Geräusche des Waldes und der Männer um ihn herum verstummten. Tanguy spürte seinen Leib nichtmehr. Nur seine Gedanken waren übrig geblieben, die im Nichts zu schweben schienen. Den unheiligen Schwur zu formen fiel ihm schwer.
Gott und Teufel, hört mich an: Koste es, was es wolle ….
Spätsommer 1781, Frankreich,
Süd-Bretagne, nahe Kerhinet (Pays noir)
Tanguys Leiche war am frühen Nachmittag nach Hause gebracht worden.
Die Trauernden hatten sich in der Stube versammelt. Gwenn saß rechts vom offenen Sarg und blickte zu Boden, die Augen rot und verquollen vom vielen Weinen. Neben ihr verharrte Mariette, auch sie war von Gram gebeugt. Sie klagte leise vor sich hin und wischte sich den unaufhörlichen Tränenstrom von den Wangen.
Pierrick hatte sich mit seinem Binioù Kozh neben dem Kopfende aufgestellt und spielte eine bretonische Weise. Gurvan hielt den Rosenkranz in den Händen und betete lautlos das Ave-Maria und Vaterunser. Die traurige Weise aus den Pfeifen des Dudelsacks schwebte durch Kerhinet.
Die Sonne zog über die Brière hinweg und sank dem Moor entgegen, während die Abendvögel zu ihrem leisen Konzert ansetzten, als wollten auch sie Tanguy das letzte Geleit geben und seine Seele ins Jenseits singen.
Schon den ganzen Nachmittag über traten Freunde und Verwandte herein und erwiesen dem jungen Mann die letzte Ehre. Sie legten Blumen in den Sarg, drückten die Hände der Brüder, der Mutter und seiner Verlobten.
Es ist meine Schuld.
Dieser Satz
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