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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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hämmerte in Gwenns Verstand, seit sie auf Tanguys Drängen hin aus dem Wald gelaufen war.
    Ich wollte die Abkürzung nehmen. Ich, nicht er.
    Sie musste den Kopf drehen und nach dem Leichnam sehen.
    Der Anblick seines zertrümmerten Gesichts bereitete ihr seelisches Leid. Die Räuber hatten ihn mit furchtbaren Schlägen eingedeckt, ihm gar ein Stück aus dem Hals herausgebissen. Erstochen, durchs Herz. Der Arzt, der Tanguys Leichnam halbwegs ansehnlich gemacht hatte, hatte gesagt, dass ihm solche Grausamkeit noch nie untergekommen sei.
    Ich habe meine Liebe in den Tod geführt.
    Sie streckte die Hand langsam aus und berührte seinen rechten Arm. »Dafür komme ich in die Hölle«, schluchzte sie.
    Gurvan sah auf. »Nein. Andere kommen dafür in die Hölle. Ihr werdet im Himmel zueinanderfinden«, sagte er langsam. »Er starb als Held und bleibt Guérande als Held in Erinnerung, nicht als einfacher Schilfbauer.«
    »Was bringt ihm das?«, erwiderte sie mit erstickter Stimme. »Ich will ihn an meiner Seite. Als Lebendigen, nicht als einen Toten!« Sie spürte heißes Brennen in den Augen. Tränen hatte sie längst keine mehr.
    Pierrick beendete die rührende Melodie und setzte den Binioù Kozh ab. »Wir vermissen ihn alle sehr. Jeder spürt einen anderen Schmerz. Bruder, Sohn und Frau.« Er stellte das Instrument neben den Sarg. »Aber nichts wird ihn ersetzen können.«
    Für Gwenn bedeuteten die Worte eine verborgene Anklage gegen sie. »Ich weiß es doch«, stöhnte sie verzweifelt auf. »Hätte ich diesem verdammten Verbrecher doch meinen Leib hingegeben!« Sie barg ihr Gesicht in den Händen.
    Zu ihrem eigenen Erstaunen spürte sie Mariettes Hand auf ihrem Rücken. »Dann hätte ich keinen Sohn und keine Schwiegertochter mehr«, meinte sie. »Eure Leichen lägen irgendwo im Hain, als Fressen für die Tiere. Oder sie hätten euch ins Moor geworfen. Ich trauere sehr um meinen Jüngsten, und zugleichbin ich stolz auf ihn.« Sie legte einen Arm um Gwenn und zog sie zu sich.
    Sosehr es der jungen Frau Erleichterung verschaffte, keinen Hass der Familie Guivarch zu spüren, konnte es kein wahrer Trost für sie sein. Sie würde keinen anderen Mann mehr in ihrem Leben lieben können. Sie hatte das Beste gekostet; alles andere würde fade schmecken.
    Er fehlt. Jetzt und für alle Zeit
.
    Gwenn würde sich ihre Schuld niemals verzeihen. So gern sie an Gurvans Worte geglaubt hätte, ihren Tanguy im Paradies zu treffen, fürchtete sie doch, dass sie nach ihrem eigenen Ableben irgendwann wieder auf Malo stoßen würde. In der Hölle.
    Die Verzweiflung sprang sie erneut an, klammerte sich um ihren Hals und drückte zu. Im Zimmer kam es ihr unglaublich stickig vor. Es schien ihr, als ginge von dem Toten ein stechender Geruch aus.
    »Ich muss an die frische Luft«, sagte sie, und Mariette ließ sie ziehen. An den wartenden Trauergästen hastete sie vorbei, trat in das dunkelgelbe Licht der sterbenden Sonne und lief los.
    Ihre Schritte führten sie auf den Pfad, hinab zur Anlegestelle, wo sie sich auf den Steg setzte.
    Die Knie angewinkelt, schloss Gwenn die Lider und lauschte auf das Rauschen des Schilfs, auf das gelegentliche Plätschern und Glucksen des trägen Wassers.
    Er hat die Brière so geliebt.
    Die Gedanken an Tanguy wurden freundlicher. Schöne Momente tauchten auf, die sie gleichermaßen rührten und erfreuten. Sie sah sein lachendes Gesicht an jenem Morgen im Schilf vor sich, nach dem wundervollen leidenschaftlichen Liebesspiel – doch die Züge wurden abrupt von einer unsichtbaren Gewalt zusammengedrückt. Seine Augen brachen. Die Melancholie und die Vorwürfe kehrten mit Macht zu ihr zurück. Gedanken an eine gemeinsame Zukunft konnte sie sich ersparen. Was sich gesternnoch in greifbarer Nähe befunden hatte, ein Leben ohne Heimlichkeit, Zweisamkeit jeden Tag, Wärme und Geborgenheit, war ihr entrissen worden.
All unsere Pläne werden mit ihm zu Grabe getragen.
    Der Wind nahm zu, das Rascheln der Halme und Blätter wurde lauter.
    Ihr schien es, als rufe die Brière nach ihr.
    Da ich ohnehin in die Hölle komme, kann ich mir gleich das Leben nehmen.
    Gwenns Verzweiflung drückte dumpf gegen die Brust, schnürte sie gleich einem Eisenband ein, das von einer Schraube eng und enger gezogen wurde.
    Was soll ich ohne ihn hier? Der Sumpf wird mich aufnehmen.
    Noch spürte sie inneren Widerstand gegen ihr Vorhaben. Als gäbe es doch einen Grund, auf Erden zu bleiben, der sich ihr im Augenblick nicht erschloss.
    »Es tut

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