Judassohn
Bewohner von Guérande, Messieurs!«
Die Männer deuteten eine Verbeugung an und grinsten.
Tanguy achtete darauf, dass der Flaumbart sein Gesicht nicht zu genau von vorne sah, und torkelte entsprechend geschickt. Er langte in die Tasche und warf ihnen ein paar Livres hin. »Hier, als kleine Aufmerksamkeit. Dank euch kann ich beruhigt schlafen.« Er rülpste und stellte die Weinflasche in einer Mauernische ab. »Das ist auch für euch. Ich habe genug. Ich muss morgen einen langen Weg in finsterster Nacht zurücklegen. Aber pst«, machte er und lachte dann. »Wie gut, dass Männer wie ihr die gottverdammten Räuber in die Flucht geschlagen haben. Sonst würde ich mich mit meiner Ladung niemals alleine nach Saint Nazaire wagen. Aber so«, sprach er andeutend und wandte sich, wankte zurück. »Immer die Augen offen halten«, krakeelte er. »Es lebe der König, Messieurs!«
»Lang lebe der König, mon Seigneur«, sagte der Flaumbart lachend.
Hatte Tanguy jemals Unsicherheit gespürt, nun war sie verflogen. Die vertraute Stimme nahm ihm die letzten Zweifel.
Morgen Abend wirst du zum letzten Mal geatmet haben, Halunke,
dachte er und winkte aufs Geratewohl.
Auch wenn er den Jungen nicht erwischt hatte, kehrte er mit guter Laune in die Brière zurück. Doch kaum im Haus angelangt und zu Bett begeben, fand er keine Ruhe. Der aufregende Gedanke an die kommende Nacht und die süße Rache an seinen Peinigern machte es ihm schwer, in den Schlaf zu sinken.
Seit langer, langer Zeit träumte er wieder von Gwenn.
Am nächsten frühen Abend marschierte Tanguy wieder als namenloser Adliger in seiner gestohlenen Garderobe durch Guérande, wo man sich überall in den Gassen vom Mord am Bediensteten des Marquis von de Vertus und de Goello erzählte. Er hörte es im Vorbeigehen.
Die Ermittlungen seien noch am Laufen, aber da keinerlei Schmuck gestohlen worden war, vermutete man das grausige Ende einer Eifersuchtsgeschichte.
Eifersucht, nein. Es war die Dummheit des Dieners.
Tanguy bog ab, um das Osttor zu erreichen, und ließ die Menschen ihrer Wege ziehen.
Zu seiner Erleichterung fehlte das Flaumkinn in der Runde der Wachen.
Er ist hoffentlich bei seinen Räubern und lauert mir auf.
Der andere Wächter von der gestrigen Nacht war auf seinem Posten. »Ah, mein Bester«, grüßte Tanguy ihn großspurig. »Ich erinnere mich an dich! Wie war der Wein?«
»Gut, mon Seigneur! Selten einen solch edlen Tropfen genossen.«
»Das freut mich. Hast du Kunde von Räubern, die in der Nähe lauern sollen?«
»Nein, mon Seigneur«, antwortete der Mann beflissen. »Alles ist sicher. Kein Reisender berichtete etwas von Wegelagerern.«
Tanguy drückte ihm wieder ein paar Livres in die Hand. »Hier, für deine gute Vorhersage, mein Bester. Wo ist dein Kumpan?«
»Er hat sich von seiner Frau krankmelden lassen, mon Seigneur.«
»Wie schade.« Tanguy lächelte und wollte zum Tor hinaus.
»Sagtet Ihr nicht, Ihr hättet Ladung, mon Seigneur?«
»Die kommt noch. Ich gehe nur ein paar Schritte voraus. Das schwere Essen«, antwortete er und rieb sich den Bauch. »Dir eine gute Nacht.«
»Und Euch Gottes Schutz, mon Seigneur.«
Tanguy schlug den Weg nach Saint Nazaire ein.
Dann schaue ich, dass ich wirklich noch eine Ladung bekomme.
Als ihm nach einer halben Meile ein Eselfuhrwerk entgegenkam, zerrte er den überraschten Mann kurzerhand vom Kutschbock, schlug ihn nieder und legte ihn ein paar Schritte abseits des Weges ins Gebüsch.
Es wird ihm keiner glauben, dass ihn ein Comte überfallen hat.
Nicht eine Sekunde lang dachte Tanguy daran, dem Unschuldigen die Adern zu öffnen und dessen Blut zu trinken. Sicher wäre es einfach. Und genauso sicher wäre es falsch. Der arme Kerl hatte es nicht verdient. Kein Adliger, kein Schurke, sondern ein hart arbeitender Mann mit Familie, schätzte er anhand des einfachen Rings am Finger. Außerdem würde Tanguy in dieser Nacht genug Lebenssaft bekommen, um mehr als satt zu werden.
Er kehrte zum Wagen zurück und lupfte die Segeltuchplane. Auf der Ladefläche befanden sich ein paar Fässer mit Salz.
Da ist doch mein Schatz: weißes Gold.
Grinsend schwang er sich auf den Bock, ließ die Zügel knallen und lenkte die zwei Esel, so gut es ihm möglich war. Auch wenn er es nicht erlernt hatte, mit Gespannen zu fahren, gelang es ihm, die Tiere auf der Straße zu halten. Vermutlich kannten sie den Weg gut genug.
Die Zeit verging quälend langsam.
Aus seiner Vorfreude wurde brennende Ungeduld. Da
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