Judassohn
verborgen gelegen haben. Bis auf den Griffschutz bestand seine Waffe nicht aus Metall.
Horn? Elfenbein?
Sie hatte nicht vor, ihn zum Zug kommen zu lassen. So ungestüm, wie er das Schwert führte, hatte er keine Fechtausbildung genossen. Das würde es leicht für sie machen. Charlotte unterlief Tanguy und durchtrennte die Sehnen an seinen beiden Unterarmen mit einer raschen Bewegung; gleichzeitig versetzte sie ihm einen Tritt, der ihn rückwärts in die Mitte der Ruine taumeln ließ. Seine Finger öffneten sich gezwungenermaßen, das Schwert fiel vor ihr nieder.
Damit wird es rascher gehen.
Einen Dolch steckte sie ein, schleuderte im Gegenzug Tanguys Waffe mit dem Fuß in die Höhe und fing den Griff. Charlotte schlug sofort zu.
Die Spitze ritzte ihrem Enkel eine lange Linie quer über das Gesicht. Sobald sein Blut auf die Schneide traf, leuchteten Schriftzeichen darauf auf.
Charlotte nahm es wahr, kümmerte sich aber nicht darum. Sie hatte in ihrem Leben Merkwürdigeres als das gesehen. »Verzeih mir, dass ich dich habe warten lassen«, sagte sie zu ihm und hielt seine Hand fest, bevor er nach ihr schlagen konnte. Die Nägel waren lang und hätten messertiefe Wunden in ihre Seite gerissen.
Sie überdrehte den abgefangenen Arm und ging um Tanguy herum, Gelenk und Unterarm barsten. Er schrie und wollte sich losreißen. Unerbittlich hielt sie ihn gepackt und schob ihn in Position. Das gelbweiße Feuer lauerte unmittelbar neben ihm.Tanguy fauchte, schielte auf das Schwert und zu Charlotte. Beide schienen ihn einzuschüchtern.
Ich hätte dir das Glück gegönnt, das du mit deiner Kleinen sicherlich gefunden hättest. Ein einfacher, zufriedener Schilfbauer mit vielen Kindern. Der Kummer und die Ungerechtigkeit der Welt haben dich viel zu früh getroffen.
»Du hättest erst gar nicht erwachen und Leid bringen dürfen. Es war meine unverzeihliche Nachlässigkeit«, sagte Charlotte traurig zu ihm und ließ ihn los. Auf seinem Gesicht lag Angst, die Augen wurden schmaler. »
Ich
habe Mariette und deine Brüder und die übrigen Toten zu verantworten. Du tatest nur, was in deiner Natur liegt. Sollte sich ein Engel deiner erbarmen und dich vor Gott führen, dann sage ihm, dass ich dich geschickt habe. Wenigstens dir soll die Hölle erspart bleiben.« Sie hob seufzend das Schwert. »Ruhe nun für immer, Tanguy Guivarch.«
Ihr Hieb erfolgte ansatzlos.
Die Klinge surrte und schnitt in den Hals des fauchenden Vampirs, der sich im gleichen Moment abdrückte. Dadurch bekam er den Griffschutz gegen das Gesicht geschlagen, was den Schädel nach hinten klappen ließ. Tanguy stolperte so gut wie enthauptet rückwärts in die Flammen, die hochschlugen, als bestünde sein Körper nicht aus Fleisch, Blut und Knochen, sondern aus Rinde, Stroh und Petroleum.
Verflucht! Was ist mit seiner Leiche?
Charlotte musste zurückweichen und die Hand vors Gesicht heben, um sich vor der Hitze zu schützen. Sie warf das Schwert in die Lohen, die sich nach allen Seiten ausbreiteten und den Ruinenbrand neu entfachten. Es hatte den Anschein, als wollten sie die Vampirin ebenfalls umschließen und vergehen lassen. Überstürzt verließ sie das zerfallene Gebäude.
Die Leute werden sich noch einmal über den Qualm wundern. Danach hat dieses Morden im Guérande ein Ende.
Sie durchquerte den breiten Schilfgürtel und schwang sich in den Kahn.
Was hatte es zu bedeuten, dass Tanguy lichterloh brannte? Waren es die alchimistischen Substanzen im Feuer?
Charlotte zog ihr Kleid wieder an, nahm die Pigouille und stakte die Barke rückwärts, raus aus dem Sumpf. Fünkchen umspielten sie, brannten kleine schwarze Löcher in den Stoff und in ihre Haare. Die Stengel hatten sich entzündet und vergingen in den unnatürlichen Flammen rasend schnell. Dadurch wurde der Blick auf die Ruine frei.
Charlotte stockte der Atem. Ein Tor zur Hölle schien sich geöffnet zu haben!
In den himmelhoch schlagenden Lohen entzündete sich gelegentlich der bestialisch stinkende, bunte und schwarze Qualm. Die Verwirbelungen schufen die unterschiedlichsten Dämonenfratzen, die sich wiederum in lauten Verpuffungen zu nichts verwandelten. Es hätte Charlotte nicht gewundert, wenn sich ein riesenhafter Teufel aus den einbrechenden Mauerresten erhoben hätte. Dieses Inferno würde weithin zu sehen sein.
»Möge deine Seele Frieden finden, bedauernswerter Tanguy«, sprach sie laut und mitfühlend. »Und alle Seelen deiner Opfer.« Sie schob den Kahn an und nahm Kurs auf festes
Weitere Kostenlose Bücher