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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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verstehen, dass ein Dilettant geforscht hatte.
    Charlotte sah die vielen Pfützen: schwarz, grün, farblos, brodelnd, schillernd, erstarrt. Halbedelsteine waren in einer Lache aus einer grauen Legierung eingebacken, als wären es kleinste Dotter in einem großen Spiegelei.
    Da ist ein Experiment gründlich misslungen.
    Charlotte betrat langsam das Innere, tastete mit den Zehenspitzen, bevor sie den ganzen Fuß aufsetzte. Die spürbare Hitze in der Ruine hatte nichts mit den sommerlichen Temperaturen zu tun. Es roch durchdringend nach den verschiedensten Substanzen.
    Quecksilber, Schwefel, Phosphor
ordnete sie die Gerüche zu.
Magnesium und Kohle, gemahlenes Eisen, Mineralien und Pigmente.
    Sie zählte insgesamt drei Feuerchen, die in tiefen Kuhlen brannten. Milchig trübe Rinnsale führten hinein und machten daraus Schmelztiegel, in denen unentwegt alchimistische Prozesse abliefen. Unkontrolliert.
    Charlotte sah zu den Überbleibseln des Dachstuhls hinauf.
    Das ist die Erklärung für die Rauchsäulen.
    Sie stieg achtsam über die Brandherde hinweg und begann ihre Suche nach Spuren. Aufzeichnungen vielleicht, die ihr Aufschluss auf den Besitzer gaben. Oder den Verbleib von Tanguy Guivarch.
    Ganz weit außen, in der hintersten Ecke, entdeckte sie die Überreste eines rudimentären Bücherregals.
    Aha! Welche Werke hast du benutzt, um dein Laboratorium in diesem Chaos versinken zu lassen, unbekannter Alchimist?
    Charlotte lenkte ihre Schritte dorthin. Sie hob im Vorbeigehen einen verkohlten Eisenstab auf und rührte in den Schrankresten sowie in den kaum mehr vorhandenen Einbänden, bis sie auf lesbare Seiten stieß. Asche wirbelte davon.
    Sie beugte sich nach vorn, um besser sehen zu können. Die Sprache, in der die Zeilen verfasst waren, weckte Kindheitserinnerungen.
    Serbisch
.
    Sie wühlte weiter.
    Und das ist … Ungarisch?!
    Nun war Charlotte doch überrascht. Weit entfernt von ihrer früheren Heimat hatte sie nicht damit gerechnet, auf Bekanntes zu stoßen. Schon gar nicht auf jemanden, der geheime Forschungen inmitten eines Sumpfes anstellte.
    Dann hat der Riese mehr getan, als sich gelegentlich Menschen zu holen. Dass er ein Vampir ist, hatte ich mir gedacht. Hätte ich von dem Laboratorium damals etwas geahnt, wäre ich der Legende auf den Grund gegangen.
    Sie erhob sich und schaute sich erneut um.
    Welcher Sorte Vampir hat er angehört?
    Ein wahres Kind des Judas hatte hier nicht gelebt. Diejenigen, die dem Zirkel der selbsternannten Auserwählten angehörten, bevorzugten Villen und Paläste, in denen sie die Lebenden schuften ließen. Keiner von denen würde sich aus freiem Willen an einem solchen Ort niederlassen.
    Ein Ausgestoßener womöglich.
    Charlotte fand es zwar unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Sie nahm an, dass die Macht der Judassöhne und -töchter schwand, seit Zerstrittenheit innerhalb der Cognatio ausgebrochen war.
    Ein Eleve vielleicht, der sich mit der Formel seines Herrn abgesetzt hat, um auf eigene Faust das Geheimnis der Unsterblichkeit zu lüften.
    Sie beendete die müßigen Spekulationen. Ohne die Auskünfte des Hausbesitzers kam sie nicht weiter – sofern er die Zerstörung überlebt hatte.
    Charlotte setzte den Gang durch die Ruine fort, wühlte und stocherte in den Überresten weiter nach Verwertbarem, nach Hinweisen, nach Spuren. Sie fand immerhin einen angesengten Oberschenkelknochen und die passenden Teile einer Hüfte.
    Der Vampir muss ein wahrer Hüne gewesen sein!
    Sie schätzte, dass er über zwei Schritte gemessen hatte.
    Es gab den Riesen wirklich. Nur anders, als die Leute dachten.
    Sie warf die Gebeine zurück.
    Hinter ihr splitterte Glas.
    Charlotte zog den Dolch, machte dabei einen Schritt zur Seite und duckte sich, um einem möglichen Angriff zu entgehen.
    Im Eingang stand ein Mann, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, als wäre ihm übel. Die Kleidung hing in Fetzen an ihm herab, er trug nur noch einen Schuh. Haare und Bart starrten vor Sumpfdreck; der Schmutz glitzerte feucht.
    »Was tust du hier?«, fragte er kichernd und stotternd gleichzeitig. »Hier wohnt der Riese Szomor!« Er legte den Finger gegen die Lippen. »Sei leise, sonst kommt er und holt dich!« Er tänzelte durch den Schutt und machte sich einen Spaß daraus, die Feuer knapp zu verfehlen. Fünkchen stoben auf. »Kommt und holt dich«, sang er mit schräger Melodie.
    Die braunen Augen ließen sie nicht los. Er pirschte sich an sie heran.
    Soll er es sein?
    Charlotte richtete

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