Judassohn
Land.
Ihre Aufgabe war noch lange nicht erledigt, was sie sich selbst zuzuschreiben hatte.
Denn diejenigen, die durch einen Vampir zu Tode gekommen waren, liefen unter Umständen Gefahr, selbst als eine solche Bestie zurückzukehren. Sie konnten Freunde, Verwandte und jeden anderen anfallen, dem sie begegneten, und das Vampirdasein in der Region weitertragen. Eine Flächenepidemie, deren Ausbruch sie verhindern musste. Zwar gab es nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, aber sie war vorhanden.
Ich schwöre,
sagte sie zu sich und stakte so schnell sie konnte,
dass mir ein solcher Fehler nicht noch einmal unterlaufen wird.
Charlotte würde die Gräber der Familie Guivarch öffnen und die Leichen untersuchen, sie alle vorbeugend köpfen und die Schädel verbrennen. Damit wäre die unmittelbare Gefahr gebannt. Für den Fall, dass einer von ihnen zum Vampir geworden war und schon gemordet hatte, würde sie einen Monat in der Nähe von Kerhinet bleiben und darauf achten, ob sich weitere unerklärliche Todesfälle ereigneten. Wenn nicht, konnte sie gehen.
Was sie danach tun würde, wusste Charlotte schon: ihr geliebtes Leben als Tänzerin und Musikerin wiederaufnehmen und durch die Bretagne ziehen. Ein unstetes, aber sehr friedliches Leben. Kein Vergleich zu dem, was sie in ihrer Heimat erlebt hatte.
Ein gedämpfter Knall ertönte.
Charlotte sah über die Schulter nach der Behausung des Riesen.
Eine grellblaue Stichflamme brannte unter einem grellen Pfeifen hinauf bis zum Firmament. Wind kam auf, der das verbliebene Dickicht aus brennenden Halmresten umfegte und knickte. Die Steine flogen in alle Richtungen davon, der Stall war weggesprengt worden.
Sumpfgas, das sich entzündet hat!
Sie warf sich flach in die Barke und hielt sich an den Rändern fest, als eine zweite, lautere Detonation erklang und die Brière zum Erzittern brachte. Die Druckwelle schob das Wasser vor sich her.
Charlotte wurde durchgeschüttelt und der Kahn angehoben, mit den Fluten davongerissen und den Kanal hinabgespült.
Rasch erhob sie sich und glich das gefährliche Schwanken mit Balancieren aus. Sie nahm die Unruhe aus dem unerwartet schnellen Ritt und hielt mit der Pigouille gleich einer Hochseiltänzerin das Gleichgewicht. Dann verebbte die Woge. Charlotte entspannte sich.
Gutgegangen.
Zum letzten Mal suchte ihr Blick die Ruine. Doch in der Brière brannte nichts mehr.
***
LAMENTO III
Immer
ergreift das Schicksal diejenigen,
welche hinten laufen.
Immer
packt das Unrecht diejenigen,
welche die Wahrheit sagen.
Immer
zerreißt der Zorn Gottes diejenigen,
welche freundlich leben und niemandem etwas tun.
Immer
gewährt die Hure Glück
den Falschen
ihre
Gunst.
So rate ich dir:
Sei du Schicksal, sei Unrecht, sei Zorn Gottes
und mach dir die Hure zu Willen!
Und du wirst herrschen.
Es macht den Schmerz erträglicher.
GESCHICHTEN
AUS DEM LEBEN
VON SANDRINE
DIE GESCHICHTE
VON DER LIEBE
Mai 1787, Saint-Alban, Südfrankreich
Sandrine stand vor ihrem kleinen Steinhäuschen, hob die Hand über die Augen und betrachtete die Gegend, die im warmen Licht der untergehenden Sonne lag.
Der Ginsterduft war an diesem warmen Abend besonders betörend, die gelben Blüten leuchteten allgegenwärtig in der hügeligen, kargen Landschaft des Gévaudan. Sie leisteten dem eintönig grünen Gras, das zwischen den grauen Granitbrocken wuchs, Widerstand.
»Heya, wo seid ihr?«, rief sie und lockte damit die Ziegen, die irgendwo in der Nähe grasten. Sie nahm die Glocke, die neben dem Eingang auf dem Hauklotz stand, und schüttelte sie. Das Gebimmel schallte weithin und wurde gleich darauf von vielstimmigem Geblöke beantwortet.
Na, ihr wart aber sehr weit weg
, dachte Sandrine und schätzte die Entfernung auf sicherlich eine halbe Meile. Normalerweise blieben sie in der Nähe des Stalls. Sie vermutete, dass dort Kräuter gediehen, die ihre Ziegen besonders schmackhaft fanden.
Die fünfzehn Tiere kamen angelaufen und blökten weiterhin, die prallen Euter baumelten schwer nach rechts und links.
Viel Milch, viel Käse.
Sandrine freute sich. Ihre Laibe gingen auf dem Markt in Windeseile über den Verkaufstisch, und sogar der junge Comte de Morangiès schätzte ihre Sennerinnenarbeit, wie sie gehört hatte. Noch mehr mochte er das Ziegenfleisch, das sie frisch undgeräuchert feilbot. Die speziellen Gräser, mit denen sie die Filets umwickelte, verliehen den Stücken den besonderen Geschmack.
Sie ließ die Herde in den Stall,
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