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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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im Vergleich zu dir bin ich weder übermäßig stark noch schnell. Deswegen hatte ich mich zuerst vor dir verborgen und auf Flucht eingestellt, als wir uns trafen. Doch dann spürte ich … diese … Besonderheit.
Deine
Besonderheit. Sie umgibt dich, strahlt von dir ab, und ich bin dir verfallen.« Anjanka seufzte erneut. »Damit kennst du meine Geheimnisse. Meine Schwächen. Du bist meine größte Schwäche.«
    Sandrine zog sie zu sich und küsste sie.
    Sie saßen und hörten dem Sturm zu, der über das Gévaudan brauste. Das Gewitter befand sich genau über ihnen, Blitze und Donner schlugen beinahe gleichzeitig ein. Eine Böe riss den Laden des rechten Fensters auf, klappte ihn auf und zu.
    Ich könnte es verjagen oder es zumindest umlenken, damit mir die Blitze nicht in die Hütte fahren.
    Sandrine mochte Unwetter. Sie fühlte die Kraft der Natur gern, der sie durchaus gebieten konnte, wenn sie sich sehr anstrengte. Es kostete wesentlich mehr Kraft als das Verfluchen. Claude war durch ihre Schuld an Blutlosigkeit gestorben, und sie hatten es versäumt, sich einen neuen Geber zu suchen. Deswegen scheute Sandrine davor zurück, ihre Macht einzusetzen, weilsie den anschließenden Durst nicht gestillt bekam. Ziegenblut mundete ihr nicht.
    Laut knisternd jagte ein Blitz vor dem Fenster in den Wald und sprengte eine Eiche. Er verwandelte ihre Überreste in eine Fackel, aus der lodernde Flammen schlugen und die Dunkelheit verjagten.
    Eine Tenjac.
    »Und was«, sagte Sandrine nachdenklich und betrachtete die Lohen, »bin ich?« Sie erhob sich und trat ans Fenster, um den Brand besser betrachten zu können. Gedanken an die Vergangenheit stiegen auf.
    Anjanka stellte sich hinter sie, legte die Arme um ihren Bauch und schmiegte sich tröstend an sie.
    »Ich hatte mir lange Zeit eingeredet, dass ich an einer Krankheit leide«, flüsterte Sandrine. »Eine Krankheit, die mich die Sonne hassen lässt. Dachte ich. Die Nacht erhielt eine unglaubliche Schönheit. Meinen Ziegen war es gleich, sie haben mir die Treue gehalten. Meine Kräfte wurden stärker, auch wenn ich dafür das Blut der Lebenden trinken muss.«
    Ich habe mich selbst belogen.
    »Es ist keine Krankheit«, raunte ihr Anjanka zu. »Es ist eine Gabe, die dir von einem höheren Wesen verliehen wurde. Wir sind den Menschen gegenüber
erhöht. Sie
sind nichts als
unsere
Beute.«
    »Ist das der wahre Zweck?«, sinnierte Sandrine. »Ich meine,
warum
haben wir uns verändert?«
    »Das Böse, sagte die Alte, steckt dahinter. Wir sollen der Prüfstein für die Menschen sein und tun, wonach uns immer gelüstet.
Das
ist unsere Aufgabe.« Anjanka streichelte ihren Nacken, blies sanft in ihr rechtes Ohr. »Hast du Durst, meine Liebe?«
    »Nicht sehr.« Gänsehaut breitete sich auf ihrer rechten Körperseite aus. Sandrine empfand den warmen Atem als unglaublich erotisch.
    »Ich könnte dich mit ins Dorf nehmen. Es gibt eine Kammer, in der zwei Jünglinge schlafen. Da wäre genug für uns beide zu trinken.«
    Sandrine zögerte.
    Sie wusste, dass Anjanka eine Nacht mit ihnen verbringen müsste, um deren Träume zu beherrschen. Die Gabe verlangte außerdem, dass sie im Haus schlief, um ihre Kraft anwenden zu können. Eifersucht keimte auf.
    Ich will nicht sehen, wie sie es mit anderen treibt!
    Zwei laute Schläge hämmerten gegen die Tür, die beide zusammenfahren ließen.
    »Besuch? Bei diesem Wetter?« Anjanka sah Sandrine fragend an.
    »Angekündigt hat sich niemand.« Sie stand auf und ging zum Eingang. Ihre Hand legte sich auf den Riegel, um ihn zur Seite zu ziehen. »Könnte ein Notfall sein.«
    »Warte!«, bat Anjanka plötzlich ängstlich.
    »Warum?«
    »Ich habe kein gutes Gefühl.«
    Wieder dröhnten die Schläge. »Mach auf, Sennerin«, rief eine junge Männerstimme. »Ich muss dich sprechen.«
    »Bitte«, flüsterte Anjanka und schüttelte den schwarzgelockten Kopf. »Der Tod steht vor der Tür. Ich spüre es! Lass ihn draußen stehen.«
    Sandrine musste lächeln. »Wir beide
sind
der Tod. Wir müssen uns nicht vor ihm fürchten.«
    »Sennerin! Mach auf, oder ich schwöre, dass deine Hütte in dieser Nacht brennt wie die Eiche, die du aus deinem Fenster sehen kannst«, rief die Männerstimme wütend und verlangend. »Lass mich nicht warten wie einen Bittsteller.«
    Ein aufdringlicher Notfall. Dir werde ich zeigen, wie ich ungehobelte Leute behandele.
    Sandrine öffnete die Tür.
    Davor stand eine hochgewachsene, schmale Gestalt in einem schwarzen Ledermantel, dessen

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