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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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beliebten Finanzministers Necker beklagt wurde. Necker hatte versucht, dem Adel und der Kirche endlich hohe Steuern abzuverlangen, um die Schulden des Staates einzudämmen und die Belastungen für diejenigen, die eh kaum etwas besaßen, zu reduzieren. Aber der König hatte ihn kurzerhand gefeuert.
    Kein kluger Schachzug. Die aufgebrachte Bevölkerung trägt schon Zorn genug in sich.
    Er überflog Auszüge aus der Rede von einer der lautesten Stimmen unter denen, die nach Veränderung strebten: Camille Desmoulins. Er forderte dazu auf, sich als Erkennungszeichen der Patrioten Kastanienblätter an die Hüte zu stecken.
    Können wir das als Ablenkung nutzen?
    Dominic sah zu Frèderic, der wieder nach unten winkte und lautstark die Schönheit einer Frau pries.
    Jedermann hasst die Adligen, die sich nicht auf die Seite des Dritten Standes begeben haben. Also wird uns niemand hindern, wenn wir mit Kastanienblättern am Hut etwas für das Volk tun.
    »Hör zu: Die Entlassung Neckers ist die Sturmglocke zu einer Bartholomäusnacht der Patrioten!«, trug er laut vor. »Die Bataillone der Schweizer und Deutschen werden uns noch heute den Garaus machen. Nur ein Ausweg bleibt uns: zu den Waffen zu greifen!« Er sah über den Rand der Flugschrift hinweg. »Na? Denkst du, was ich denke?«
    »Bravo«, rief Frèderic, der intuitiv die Vorlage erfasst hatte. »Dann sind wir doch heute das
Kommando Necker
und ziehen an seiner Stelle die Steuern vom Adelspack ein.« Er langte nach der Flasche Rotwein, die auf dem Tisch stand, und nahm einen Schluck. »Auf die Nationalversammlung!«
    Dominic grinste. »Ruf die Männer zusammen. Und sag ihnen, sie sollen sich Kastanienblätter an den Hut stecken. Heute Nacht sind wir Patrioten!«
    »Wie viel Zeit habe ich? Da unten ist soeben die süße Anjanka vorbeigelaufen, und ich …«
    »Sofort!«
    »Ja, schon gut.« Frèderic warf sich die Jacke über und eilte hinaus.
    Draußen fielen erneut Schüsse aus unterschiedlichen Entfernungen. Es rumorte in den Gassen und Straßen, jedermann trachtete nach einer Waffe. Entweder um sich zu verteidigen oder diejenigen anzugreifen, die ihrer Meinung nach Schuld an der Brotmisere trugen.
    Den Kampf um das Brot sah Dominic nur als Symptom. Es waren die Folgen einer schlechten Regierungsweise. Mehr als neunzig Prozent der Franzosen gehörten dem Dritten Stand an und hatten bislang kaum Rechte und unendliche Pflichten gehabt.
    Es wird sich bald ändern.
    Er erhob sich und schaute hinaus.
    In der Gosse fließt bald nicht nur die stinkende Kloake, die Paris im Sommer den Geruch einer Jauchegrube verleiht. Sondern Blut.
    Vor einem Jahr hatte er Frèderics Bande getroffen, als er aus der Auvergne nach Paris gereist war. Das Schicksal hatte gewollt, dass sie versucht hatten, ihn auszurauben. Aber er hatte sie einen nach dem anderen niedergeschlagen und war wie durch ein Wunder ihren Kugeln entgangen. Das hatte ihnen derart imponiert, dass sie ihm das Amt des Hauptmanns angetragen hatten. Eigentlich hatte Dominic nach Paris kommen wollen, um sich zu bilden, um Schulen und Universitäten zu besuchen, wenn auch nur nachts. Aber seine Abenteuerlust und die Aussicht auf schnellen Reichtum ließen ihn den Vorschlag der Räuber sofort annehmen.
    Die braunen Augen verfolgten einen Schwarm Spatzen, der sich auf einem Dach wie zu einer Beratung niederließ. Ihre tschilpendenRufe brachten ihn zum Lächeln. Der Himmel hatte sich blutrot gefärbt, der Sonnenuntergang malte die Wolken rosa an.
    Von seinem Geheimnis wussten die Männer nichts.
    Wann habe ich den goldenen Ball zum letzten Mal gesehen?
    Dominic vermisste das Taggestirn nicht. Dafür gab ihm die Nacht viel zu viel.
    Ganz genau wusste er bis heute nicht, was ihm zugestoßen war.
    Nach einem Unfall mit seiner Kutsche war er erwacht – in einem Sarg! Zuerst hatte er geglaubt, als Scheintoter begraben worden zu sein. Wie von Sinnen hatte er getobt und gewütet, damit ihn jemand hörte, aber stattdessen hatte er mit bloßen Fäusten den Sarg zerschlagen und sich wie im Wahn bis an die Oberfläche gegraben. Als er die spitzen, langen Zähne in seinem Mund ertastet hatte, hatte er gewusst, zu was er geworden war: Vampyr.
    Seine gute Bildung war schuld, dass er seinen Zustand erfasst hatte. In einem Artikel von Voltaire hatte er von Vampyren gelesen, und den Satz konnte er auswendig.
    »Weder in London noch in Paris war von Vampyres die Rede«, murmelte er. »Ich gestehe, dass es in diesen beiden Städten

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