Judassohn
wieder verjagt zu werden.
Aber wie in Deutschland hatten sie Anjankas Kräfte gebraucht, um keinen Hunger zu leiden. Die ausgebrochenen Aufstände kamen ihnen recht. Sie konnten morden, ohne dass es auffiel. Alles war mehr oder weniger gut gelaufen.
Doch dann hatte sie ihre Geliebte gesehen, wie sie sich mit einem Mann unterhalten hatte …
Sandrine war sich sicher gewesen, ein gewisses Funkeln in Anjankas Augen zu erkennen, und sie war aus der Haut gefahren, hatte sie angeschrien und die Faust erhoben – da war die Tenjac gegangen. Geflohen. Was auch immer.
Ich bin eine Idiotin!
Sie schlug sich gegen den Kopf und wünschte sich, richtig weinen zu können, wie sie es zu Lebzeiten vermocht hatte.
Ohne sie bin ich nichts.
Sandrine erhob sich mit viel Schwung und stürzte sich in die Menge, wo Körper sich dicht an dicht drängten. Es wurde nach Soldaten und Kanonen gerufen.
***
Dominic ging nicht mit, weil er neugierig war oder beim Sturm beteiligt sein wollte.
Sein Antrieb war ebenso logisch wie schnöde: Wo es Ausschreitungen gab, kam er unbemerkt an Blut. Entweder würde er in dem Durcheinander Schwerverletzte überwältigen und sie in einer dunklen Gasse aussaugen, oder er würde sich gleich um die Toten kümmern, deren Blut ungenutzt über das Kopfsteinpflaster rann.
Es sind viele.
Dominic versuchte, die Anzahl der Menschen zu schätzen, die sich vor der Zugbrücke versammelt hatten.
Mehrere tausend sind es sicherlich!
Und er roch es.
Seine feine Nase roch das Blut, das bereits vergossen worden war. Ein Kribbeln breitete sich in ihm aus, sein Gaumen und sein Rachen wurden noch trockener, den Speichel bekam er vor Durst fast nicht mehr hinabgewürgt. Kalter Schweiß brach ihm aus. Ermusste den Umstehenden auf die Hälse starren, durch die sein Lebenselixier rauschte.
Der Pöbel schrie und schimpfte auf die Besatzung und gegen den Kommandanten.
Nicht vor aller Augen!
Er ballte die Hände zu Fäusten und drückte die langen Nägel ins Fleisch. »Was ist passiert?«, fragte er einen Mann, der die Kleidung eines Schlachters trug. An seinem rechten Arm hatte er einen Streifschuss davongetragen. Dominic musste die Wunde anstieren; das Blut auf dessen Hemd roch nach Tier.
»Das Dreckschwein von Kommandant! Dieser de Launay!«, fluchte der Mann und lud seine Muskete. »Er hat auf uns schießen lassen, als wir in den Hof gerannt sind. Viele sind tot oder verwundet. Die Pechvögel liegen noch immer da drin!«
»Was ist mit der Bastille? Haben sie jemanden von der Nationalversammlung darin eingesperrt?«
»Mir gleich.« Der Metzger hob das Gewehr. »Die habe ich mir besorgt, im Invalidenhaus! Den Königsknechten da drinnen zeige ich es!« Er drückte ab, und die Menschen um ihn herum johlten, auch wenn er keinen der Verteidiger getroffen hatte. »Nieder mit der Bastille Saint-Antoine! Wir wollen Brot!«
»Und die Munition, die darin gelagert ist«, stimmte ein anderer mit ein. »Nieder mit dem König, wenn er uns nichts zu essen zugesteht! Wir wissen, wie wir unser Recht bekommen!«
Dominic hörte von überall die gleichen Parolen. Der Mob war wütend auf die Wärter, die sich erdreistet hatten, auf das Volk zu schießen.
Mit euren Musketen kommt ihr nicht weit.
Er rechnete damit, dass Truppen aufmarschieren würden, um die Aufständischen zu vertreiben. Und er hoffte dann auf ein regelrechtes Blutbad.
Er drängelte sich an dem Schlachter vorbei, quer durch die Masse von Menschen auf die erleuchtete Festung zu. Gelegentlichsah er einen Kopf hinter den Zinnen auftauchen und schnell verschwinden, wenn ein Schuss krachte. Im Wassergraben trieben Leichen, an deren Blut er nicht mehr gelangte.
Verflucht!
Sein Durst wurde schwerer zu beherrschen. Die Steine, auf denen Dominic lief, waren glitschig vom Lebenssaft der Verwundeten und Toten. Der süßlich-metallische Geruch stieg zu ihm auf, erregte ihn … Ein roter Schleier legte sich langsam über seine Sicht. Der Kontrollverlust, der Ausbruch der Gier stand unmittelbar bevor.
»Macht Platz!«, herrschte eine Stimme. »Wir bringen Kanonen! Los, zur Seite!«
Die Masse klatschte begeistert, teilte sich und schob auch Dominic mit, der strauchelte und fiel.
Dicht neben sich sah er eine rote Pfütze.
Das kommt wie gerufen!
Schnell robbte er dorthin und trank von dem abgestandenen, teils geronnenen Blut. Die Schuhe und Stiefel, die über ihn hinwegtrampelten, missachtete er. Sobald ihn jemand packte und ihm aufhelfen wollte, schüttelte er die
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