Judastöchter
Vor der Einmündung eines kleinen Flusses ins Meer gab es laut dem Seemann ein Stauwehr.
Besser als nichts.
Eric zog sich wieder an, ließ die nasse Unterhose über Bord gehen und überwachte die weitere Fahrt.
Dabei galt seine Sorge Sarkowitz. Sie hatte mehr als vierundzwanzig Stunden in der winzigen Kabine ausharren müssen.
Platzangst, dazu der feste Glaube, nicht mehr lebend an die Oberfläche zu kommen … Sitzen wie in einem Sarg.
Er konnte sich vorstellen, dass sie so etwas Ähnliches schon einmal durchgemacht hatte. Nachdem sie zu einer Vampirin, einer Judastochter, geworden war. Begraben, tief unter der Erde, erwachen, nicht verstehen, was geschehen war, das Holz des Deckels durchbrechen und sich durch die lose Erde zur Oberfläche durchgraben.
Dieses Mal hatte Sarkowitz nicht aus eigener Kraft entkommen können.
Der Trawler erreichte die vom Kapitän angegebene Stelle und manövrierte rückwärts an das Wehr heran. Die Scheinwerfer badeten die Stelle in helles Licht.
Dicht unter der Oberfläche sah Eric das U-Boot. »Es darf unter keinen Umständen an die Oberfläche«, schärfte er dem Steuermann ein und deutete auf sein Handy. »Boom, klar?«
Das Rangieren begann, während Eric an Land ging und die Staustufe zur Landseite hin schloss. Eine improvisierte Schleuse war besser als gar keine. Der Trawler gab ein Signal, die Winde rollte sich auf. Laut tuckernd setzte das Schiff weiter rückwärts und schob das Boot ins Stauwehr. Ganz dicht, nicht mehr als eine Armlänge Wasser trennte Unterwassergefährt und Luft.
»Halt!«, schrie Eric und pfiff laut. Die Maschinen stoppten, einer der Matrosen kappte das Stahlseil mit einem hydraulischen Bolzenschneider; pfeifend schnellte die obere Hälfte davon und wickelte sich um den Windenarm. »Alles klar. Und jetzt verschwindet!«
»Was ist mit den Bomben?«, brüllte der Kapitän.
»Deaktiviere ich, wenn ihr weg seid. Finden müsst ihr sie selbst. Ich will euch aufs offene Meer fahren sehen!«
Der Trawler gab volle Kraft voraus, die Maschine röhrte, und das Wasser wirbelte am Bug auf. Geradeaus hielt er auf die See zu.
Dann hoffe ich, dass Sarkowitz in Ordnung ist.
Eric kurbelte das andere Wehr ebenso nach unten und machte somit das Wasser darin zu einem stehenden Gewässer: auf der einen Seite abgetrennt vom Fluss, auf der anderen abgetrennt vom Meer. Abpumpen ließ es sich nicht.
Schon wieder tauchen.
Eric zog sich zum zweiten Mal aus, dieses Mal vollständig, und sprang hinein, schwamm mit schnellen Zügen zum U-Boot.
Er drehte am äußeren Verschlussrad, das für Notfälle gedacht war und sich anfangs nur schwer bewegen ließ, dann ging es schneller und schneller. Er strengte sich an und gewann den Kampf gegen den Wasserdruck, die Luke schwang auf. Der Sog riss ihn in die Kabine.
Eric wurde ins Innere gespült. Er glaubte, schrille Schreie zu hören, die von keinem menschlichen Wesen stammten.
Sie denkt, dass sie sterben muss.
Eric landete auf Sarkowitz, die unerwartet reagierte: Sie klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende. »Ich bin es«, sagte er beruhigend. »Sia, ich bin es: Eric!«
Das Wasser strömte von oben auf sie, das Innere füllte sich rasend schnell und spülte sie nach oben.
Sie schlang ihre Arme noch fester um ihn. »Das Wasser«, brüllte sie. »Das Wasser! Es …«
»Nein, es wird dir nichts tun. Es ist in Ordnung, hörst du?«
Sie stießen mit den Köpfen gegen die niedrige Decke, und er schob sie von sich, durch die Öffnung, und folgte ihr.
Nebeneinander brachen sie durch die Fluten.
Die Vampirin schwamm zur Leiter und kletterte aus dem Wehr, Eric war direkt hinter ihr. Sie rannte auf dem schmalen Steg entlang und sprang mit einem Schrei der Erleichterung auf das Gras und ließ sich niedersinken.
Er grinste. »Siehst du? Du lebst noch!« Er lief das Wehr entlang und hüpfte auf den Boden. »Du hattest es echt gut in deiner kleinen Blechwelt. Ich war unterwegs und …«
Sia federte auf die Beine, drückte sich an ihn und gab ihm einen langen, intensiven Kuss auf den Mund, in dem mühsam gezügeltes Verlangen steckte. Eric schob es auf ihre Verausgabung, vielleicht hatte sie regelrechten Blutdurst, nach der langen Zeit unter Wasser. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte – dann war es vorbei. »Danke sehr«, hauchte sie ihm atemlos ins Ohr, grollte dabei leise. »Ich stehe in deiner Schuld, Eric. Du hast mich gerettet, und damit das Leben von Emma und Elena.« Sia schluckte, dann veränderte sich ihr
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