Judastöchter
größte, die ich mir vorstellen kann.« Sie schloss für Sekunden die Lider. »Es waren … Stunden, die ich da unten festsaß, aber mir erschien es länger als die Jahrhunderte, die ich leben durfte. Ein perfektes Gefängnis für eine Judastochter, um darin elend zugrunde zu gehen. Um … den Verstand zu verlieren. Mauern vermögen es weitaus weniger gut, mich aufzuhalten.« Sie sah Eric an. »Es war wie damals, unmittelbar nach meiner Wandlung in eine Judastochter: Ich stand kurz vor dem Wahnsinn. Nein, eigentlich
bin
ich für eine gewisse Zeit dem Wahnsinn anheimgefallen. Auch … da … unter dem Meer.« Sia schluckte und stürzte den Kaffee hinab.
Ich kann mich gut erinnern.
Eric sah ihr fahles Gesicht hinter dem Bullauge, verzerrt und nicht mit ihrem jetzigen zu vergleichen. Er hatte den Dämon gesehen, dem sie diente.
Wir haben beide schon viel mitgemacht. Wie viele Männer hat sie wohl geliebt und verloren?
»Du weißt, dass du wieder in ein U-Boot steigen musst, um von Irland wegzukommen.«
Sia stellte den Becher ab. »Daran möchte ich gerade nicht denken, Eric.« Ein Ruck ging durch sie, und sie setzte sich aufrecht hin. »Da ist noch eine Sache. Ich will dich nicht weiter anlügen, was die Sache mit de Morangiès angeht. Er hat mir in dieser Nacht nichts von einer Familie gesagt. Ich habe es erfunden, damit du mir hilfst, weil ich deine Unterstützung brauchte. Wie sehr sie nötig ist, haben die letzten Tage deutlich gezeigt. Wenn du mir weiterhin beistehen möchtest, und darum bitte ich dich, will ich nicht, dass diese Morangiès-Sache weiter in deinem Hinterkopf steckt.«
Eric kreuzte die Arme vor der Brust. »Ah. Eine echte Überraschung ist es nicht. Wie ich dir damals schon gesagt hatte, deckte es sich nicht mit dem, was ich über den Comte herausgefunden hatte.«
Es nimmt mir sogar Arbeit.
Er bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick und tat so, als müsste er nachdenken, ob er Irland verlassen sollte. Ihre Haltung zeigte, dass sie nicht einschätzen konnte, wie er reagieren würde. »Ich verstehe, dass es für dich eine Ausnahmesituation ist, und ich denke, dass ich auch so gehandelt hätte wie du. Für meine Tochter würde ich töten.« Er nickte ihr zu. »Keine Lügen mehr, Sia. Und ich bleibe.«
Sia atmete erleichtert aus. »Danke«, hauchte sie und gab ihm nochmals einen Kuss, dieses Mal auf die Wange, und legte ihm kurz die schlanke, weiche Hand ans Gesicht. »So. Der sentimentale Anfall ist vorbei. Kümmern wir uns um die Gegenwart und die Zukunft meiner Nichte und meiner Schwester.« Sie nahm ihr Handy sowie den Zettel hervor, auf dem ihr Smyle die Kontaktnummer der Sídhe gegeben hatte; das Wasser hatte den Bleistiftziffern nichts anhaben können. »Holen wir uns die erste Belobigung von unseren Erpressern ab.« Sie wählte.
Eric hatte noch keine Zeit gehabt, ihr zu sagen, dass er erkannt worden war.
Durch einen blöden Zufall.
Er machte gerade den Mund auf, als sie zu sprechen begann. Er konzentrierte sich auf die Ausführungen ihres Telefonpartners, der ein Mann mit einer melodiösen Stimme war.
»Hier ist Sarkowitz. Ich bin jetzt da.«
»Sehr gut, aber es hat lange gedauert«, lautete die Antwort. »Jemand ist Ihnen zuvorgekommen, was die Eliminierung von Brian Baker angeht, und er war nicht zimperlich. Ein Deutscher, wie wir von den Wandlern gehört haben. Haben Sie etwas mit ihm zu schaffen?«
»Ob ich etwas mit dem Deutschen zu tun habe? Noch nicht«, sagte sie und hob die Augenbrauen, während sie Eric anblickte. »Was für ein Deutscher?« Sie ließ sich erklären, was die Sídhe über ihn rausgefunden hatten.
»Früher hieß er Eric von Kastell«, fasste der Mann zusammen. »Er und sein Vater waren Wandlerjäger und dabei selbst Bestien. Sein Vater ist tot, und lange galt der Sohn als verschwunden, jetzt ist er in Dublin von einer Fähre gegangen und erkannt worden.«
Damit hat sich erledigt, es ihr sagen zu müssen.
Eric setzte einen zerknirschten Gesichtsausdruck auf und lächelte scheinbar verlegen.
»Aha. Einer vom Fach. Dann sollte ich ihn mir schnappen und auf meine Seite ziehen. Dagegen werden Sie nichts haben, schätze ich. Smyle erwähnte, dass es Ausrüstung für mich gibt?«
»Ja«, gab der Mann zurück. »Im Bahnhof von Londonderry sind Schließfächer für Sie befüllt. Sie finden die Schlüssel dazu im
TeaRoom
in Maghera, auf der Damentoilette im Wasserkasten der dritten Kabine.«
»Alles klar.«
»Sie melden jeden Ihrer Erfolge sofort unter
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