Judastöchter
verdient.
»Guter Einfall«, lobte er Elena. Einmal mehr dachte er daran, wie weit das Mädchen im Vergleich zu ihren Altersgenossen war. Die Kellnerin brachte die Bestellung.
»Danke.« Elena schlürfte an ihrem Kakao. »Das ist alles sehr aufregend.«
»Kann man so sagen«, gab er zurück und musste zu allem Elend auch noch lachen. »Aber wir haben sie abgehängt.« Unauffällig lud er die Walther unterm Tisch nach.
»Gehört die Killerin zu denen, die mich in Leipzig schnappen wollten?« Sie hielt ihren Blick auf ihn gerichtet, um jede Regung erkennen zu können.
»Kann sein.« Wilson wollte ihr die Wahrheit bestimmt nicht auf die Nase binden und versuchte ein Ablenkungsmanöver. »Das hast du vorhin gut gemacht.«
»Was denn?«
»Vorhin in der U-Bahn. Als du in Deckung gegangen bist. Hat deine Tante dir das beigebracht?«
Elena schüttelte den Kopf. »Nein. Sie weigert sich, mich auszubilden. Obwohl sie das tun könnte. Sie ist eine gute Kämpferin.« Nach einem weiteren Schluck Kakao und einem langen Blick hinaus auf das vorbeiziehende Regierungsviertel sagte sie: »Eigentlich wollte ich zuerst nicht.«
Wilson runzelte die Stirn. »Verstehe ich nicht. Was wolltest du nicht?«
»In Deckung gehen.« Elena wischte sich den weißen Sahnerand um den Mund mit dem Handrücken weg und schleckte ihn dann ab. Das Kindliche an ihr war zu Wilsons Erleichterung nicht gänzlich verschwunden.
Weil sie nicht weitersprach, fragte er: »Warum?«
»Wenn mich eine Kugel erwischt hätte und ich gestorben wäre«, Elena beugte sich nach vorne und machte ein verschwörerisches Gesicht, »wäre ich als Vampirin wiedergeboren worden. Und dann hätte ich dem Typen gezeigt, was eine Judastochter alles kann. Dann hätte ich dich retten können und … vieles mehr. Tante Sia und ich wären unschlagbar. Ehrlich.« Sie lehnte sich wieder nach hinten. »Aber ich hatte Angst, dass ich nur verletzt werde. Und dass es weh tut.«
Deswegen wollte sie vorm Völkerschlachtdenkmal ins Eis einbrechen!
Wilson begriff, welchen Plan sie verfolgt hatte, und er musste schlucken.
Black hatte davon gesprochen, dass Mutter und Tochter den Vampirkeim in sich trugen – aber dass Elena ihn zum Aufbrechen bringen wollte, das erschreckte ihn.
Sie ist noch zu jung.
Von selbst tauchte die Frage in seinem Verstand auf, ob das Mädchen dann als Vampirin ein Mädchen bleiben oder wachsen würde.
Aber eine Vampirin altert nicht. Oder?
Wilson beseitigte den Kloß im Hals mit starkem Räuspern und kippte den Sherry hinterher. »Versprich mir bitte, dass du, solange du bei mir bist, versuchst, am Leben zu bleiben? Wie gesagt, ich habe deiner Tante versprochen, dich heil zu ihr zu bringen.«
Elena nickte nur knapp und fuhr mit dem Finger den Rand des Bechers entlang, um die letzten Reste der Sahne zu erwischen.
Ob er ihr glauben konnte, wusste er nicht. Er musste sich auf ihr Wort verlassen.
Wilsons Handy klingelte, und er ging ran.
»Mister Wilson«, drang Blacks Flüsterstimme aus dem Hörer, »ich bin mehr als sauer auf Sie.«
Wie hat sie das überleben können?
Er setzte das Sherryglas an die Lippen und sog die letzten Tröpfchen ein. »Sie müssen aufpassen, wenn Sie plötzlich auf die Straße treten.«
»Meine Reflexe sind gut genug.« Black schien dennoch angeschlagen zu sein. Sie unterdrückte Wut und Schmerzen, nahm er an. »Klartext, Butler: Sie bringen mir unverzüglich Elena, oder ich töte die Mutter des Mädchens. Wir haben sie uns aus dem Krankenhaus geholt.«
Bloody Shit!
Wilson sah zu Elena, die gerade mit der Sahne kämpfte.
»Haben Sie mich verstanden, Butler?«, raunte sie gefährlich. »Sie tragen die Verantwortung für den Tod von Elenas Mutter. Ich schwöre, dass wir beide am Leben lassen, wenn Sie uns das Mädchen übergeben. Und Sie natürlich auch.« Black stöhnte kurz auf und bedachte jemanden auf Gälisch mit einem Fluch. Wilson nahm an, dass sie gerade verarztet wurde. »Wir treffen uns in einer Stunde vor der Donutsbude im Hauptbahnhof. Kommen Sie nicht oder ohne Elena, wird Emma Karkow sterben. Richtig sterben.«
Klick.
Nein! Das kann ich nicht verantworten.
Wilson senkte sein Telefon und betrachtete das Mädchen, das den leeren, sauberen Becher von sich schob. »Wir …«, sagte er schleppend und zwang sich zu einem Lächeln. »Wir treffen uns in einer Stunde mit deiner Tante. Sie hat eben angerufen.«
»Echt?«
»Ja.«
Elena jubelte auf und warf sich ihm spontan an den Hals. »Dann wird alles gut! Danke,
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