Judastöchter
ich möchte, da ich mich nicht als direkter Angehöriger ausweisen kann. Es wäre wichtig, dass Sie kommen.«
»Ich bin so gut wie auf dem Weg.«
Dieses Kind!
Sia legte auf und sah Justine an. »Wo ist das U-Boot?«
»Geht es sofort los? Draußen scheint noch die Sonne, und ich wollte dir noch ein paar Dinge …«
»Das ist mir gerade scheißegal«, unterbrach sie die Wandlerin eiskalt. »Von mir aus kann Irland im Meer versinken, brennen oder bleiben, wie es ist, sobald ich in meinem U-Boot sitze.« Sia erhob sich und warf ihr das Handy zu. »Wir gehen.«
Justine tat es ihr nach und trank dabei ihren Kaffee aus. »Alors, on y va.« Seite an Seite verließen sie das Café. »Ich rufe Rob an, damit er mir sagt, wo wir das Unterseeboot finden.«
Wie gerne hätte Sia in dieser Stunde Eric an ihrer Seite gehabt.
Eine Tochter verloren, eine knapp dem Tod entkommen.
Sie fühlte, wie sich eine Leere in ihr ausbreitete und sie aushöhlte. Der Verlust machte ihr schwer zu schaffen.
Das geschieht, wenn man liebt und verliert.
Sie würde wieder eine neue Identität annehmen. Eine sehr traurige. In Irland war nicht Emma, sondern Theresia Sarkowitz gestorben. Die Ähnlichkeit machte es einfach, die Rolle der Toten anzunehmen.
Nach langer Zeit werde ich wieder eine echte Mutter sein. Das bin ich Elena und Emma schuldig.
Die Sonne schleuderte ihre zerstörerischen Strahlen gegen die Vampirin, doch sie bemerkte die Schmerzen nicht. Die Sorge um Elena absorbierte jegliches körperliche Empfinden.
* * *
23. Februar, Deutschland,
Sachsen, Leipzig, 21.03 Uhr
Eric schlürfte an seinem extragroßen Chai Latte, einer indischen Schwarztee-Gewürzmischung mit aufgeschäumter Milch. Über den Rand des Bechers hinweg betrachtete er das Treiben im Bahnhof; die Ankommenden wurden besonders mit seiner Aufmerksamkeit bedacht: Seine Quellen hatten ihm gesagt, dass ein Mann mit dem Zug aus Berlin anreisen würde, der von den ihm fehlenden Leipziger Werwölfen sehnlichst erwartet wurde. Also ging Eric davon aus, dass er im Bahnhof alle drei geliefert bekam.
Wie es ihr wohl geht?
Sosehr das Jagdfieber in ihm pulsierte, er musste sich beherrschen, nicht zum Handy zu greifen und Sia anzurufen. Dem letzten Telefonat mit Justine nach befand sie sich in Oslo, um nach Elena zu sehen. Eric bekam die Vampirin weder aus seinen Gedanken noch aus seinen Träumen. Auch wenn er in sich spürte, dass zum Teil der besondere Hunger schuld an der Sehnsucht war, wusste er zugleich: Er hatte sich auch verliebt.
Genau das war sein Problem.
Eric warf einen kurzen Blick auf das Handydisplay, auf dem das Bild des Gesuchten leuchtete: Frederik Lohsenboom, sechsundfünfzig Jahre, Ex-Bundeswehrler. Was genau die verbliebenen beiden Leipziger Wandler von Lohsenboom wollten, würde er bald in Erfahrung bringen: verfolgen, ausspähen, zuschlagen.
Ach ja, der Osten. Die Heimat so mancher Bestie.
Eric erinnerte sich an seine Mission, damals, im Nationalpark Plitvicer Seen.
Lange her.
Damals hatte er Lena kennengelernt, seine Ex-Frau. Jetzt hatte er nach Jahren mit Sia eine wundervolle Frau gefunden, mit
der er nicht mal die Gelegenheit erhielt, wie Liebende zusammenzukommen.
Grausames Schicksal.
Eric war von Rob nach ein paar Tagen und über Umwege nach Deutschland gebracht worden. Von ihm hatte er gehört, dass die übrigen Vampire, welche die Sídhe in die Reihen der Nachtkelten aufgenommen hatten, so gut wie eliminiert worden waren. Ohne die Macht ihrer feenhaften Anführer bedeuteten die Blutsauger wegen der Übermacht der Tuatha keine Gefahr.
Unwillkürlich nahm Eric das Handy und drückte darauf herum, bis Sias Gesicht auf dem Display erschien. Er hatte sie heimlich fotografiert. Sein Testbild für den besonderen Hunger, die Gier, die er verspürte.
Kaum sah er ihre Züge, entfaltete sich das unheilige Verlangen, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen sowie seinen Puls steigen, er vollführte sogar ansatzweise Kaubewegungen; in seinem Schritt entwickelte sich eine veritable Erektion. Die freie Hand ballte sich zur Faust und hätte ein Stück Kohle darin zu einem Diamanten pressen können. Wieder bahnte sich das Gefühlschaos an, das er so schwer in den Griff bekam. Der Grund für die räumliche Distanz zwischen ihnen – um sie zu schützen.
Noch brutaler wurde die Angelegenheit, weil er wusste, dass sie ebenso etwas für ihn empfand. Nicht gesucht, dennoch gefunden und belegt mit dem Fluch von eifersüchtigen Dämonen
. Es ist zum Kotzen.
Schnell
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