Judastöchter
konnte. Die Scheiben hatten allerdings Sprünge bekommen und verzerrten die Perspektive.
Sie waren nicht die einzigen Gäste, doch im Gegensatz zu den anderen setzten sie sich weit weg von den Fenstern, unmittelbar in den letzten Winkel und fernab vom Sonnenschein.
Sie denkt mit.
Sia streifte die langen, roten Haare nach hinten und benutzte ein Stück Kordel, das sie in der Manteltasche fand, um die Strähnen zu bändigen.
Justine ging zum Tresen und holte sich einen Kaffee und einen Whiskey, Sia brachte sie einen Tomatensaft mit. »Bloody Mary. Sorry, aber die Anspielung konnte ich mir nicht verkneifen«, sagte sie feixend.
»Wo ist Eric?«
»Ich soll dir sagen, dass er es besser findet, wenn er dich gerade nicht sieht. Er hat
Hunger.
« Justine bedachte sie mit einem langen Blick. »Tu as compris? Er hat dich zum Fressen gerne, ma chère!«
»Wir … haben darüber gesprochen. Kurz.«
Warum muss es immer kompliziert werden?
Sie rieb sich über das schmerzende Gesicht. Ein Gruß der Sonne. »Was tut er?«
»Sich im Untergrund aufhalten. Er ist mit Rob gegangen, der rechten Hand des Ard Rí. Er wird ein Versteck suchen, bis sich die Dinge in Irland beruhigt haben.« Justine zündete sich eine Zigarette an, sog daran, trank vom Kaffee und blies dann erst den Rauch durch die Nase hinaus. »Ihr werdet euch schon noch wiedersehen, auch wenn ich nicht glaube, dass es eine Zukunft für euch gibt. Nicht als Paar.« Sie stützte den Ellbogen auf, reckte die Kippe senkrecht in die Höhe. »Quel dommage. Ihr saht so gut zusammen aus. Ich habe ihm gesagt, dass er dich anrufen soll. Du darfst ihn natürlich auch gerne anklingeln.«
Sie hört sich gerne selbst reden.
»Erzähl schon: Was ist mit den Sídhe? Und woher kamen die Wandler?«
Justine bedeutete ihr, etwas leiser zu sprechen. »Die Sídhe sind tot. Wen wir drei nicht ganz geschafft hatten, haben die Wandler ausgerottet. Sie waren in ihrem Hass durch nichts aufzuhalten. Die letzte der Sídhe hat schwere Lücken in deren Reihen geschlagen, doch genützt hat es ihr nichts.« Sie lächelte. »Dank dir, Sia, sind die mächtigsten irischen Vampire ausgerottet und bald nur noch als Legenden bekannt. Endgültige Legenden, die nicht mehr auferstehen können. Der Ard Rí möchte sich für unseren Triumph über sie erkenntlich zeigen: Er stellt dir ein Mini-U-Boot zur Verfügung, damit du Irland …«
»Woher weiß er das?«
»Eric hat Rob darum gebeten.« Justine formte Rauchkringel mit den Lippen und sah dann zum Nachbartisch, weil die jungen Männer zu ihr starrten. »Quoi? Habe ich was an meinen Lippen, oder denkt ihr euch was anderes dazwischen als Rauch, mes petits porcs?« Sie zwinkerte, und die Männer sahen verlegen auf ihre Füße.
Sia war diese Nettigkeit des Wandlerherrschers nicht geheuer. »Er lässt uns gehen? Oder wird er das U-Boot sabotieren, um …«
Justine schüttelte ihre blonden Haare. »Non. Ich habe einen Deal mit ihm ausgemacht, der uns freien Abzug garantiert.« Sie lachte böse. »Er lässt sogar mich gehen, obwohl ich ihm seine kleine Bettschlange umgebracht habe. Na, vermutlich weiß er es noch gar nicht. Aber ich kenne diese Wesen. Er ist vom selben Schlag wie Levantin, wenn auch weniger extrovertiert. Sich gegen ihn zu stellen macht keinen Sinn. Derzeit ist er zu mächtig, und wir sind … nicht in der richtigen Verfassung.« Sie lehnte sich nach hinten. »Uns fehlen die Waffen.«
Sia musste sacken lassen, was sie gehört hatte. »Kann ich dein Handy haben?« Justine reichte es ihr, und sie wählte Wilsons Nummer.
Klick.
»Ja?«
Er lebt! Dann geht es Elena auch gut. Alles kommt in Ordnung.
»Mister Wilson, hier ist Theresia Sarkowitz.« Sie fühlte eine Woge der Erleichterung durch ihren Körper schießen, und sie musste die Augen schließen. »Alles in Ordnung? Wo stecken Sie?«
Er holte Luft. »Frau Sarkowitz, glauben Sie mir, dass ich untröstlich bin …«
Nein! Nein, nicht auch noch Elena!
»Was«, schrie sie und sprang in die Höhe, »ist passiert?« Justine starrte sie alarmiert an.
»Sie hat … sie wollte sich umbringen. Sie sagte mir, bevor sie ohnmächtig wurde, dass sie zu einer Vampirin werden wollte, um besser auf Sie und ihre Mutter aufpassen zu können, und dann …«
»Lebt sie noch?« Sia atmete schnell, ihr Herz schmerzte. Ihr Herz und die Stelle dahinter, wo sie einst Liebe gefühlt hatte.
»Ja«, kam die erleichternde Antwort. »Sie liegt in Oslo im Krankenhaus. Ich kann ihr nicht so nahe sein, wie
Weitere Kostenlose Bücher