Judastöchter
lenkte den dunkelblauen Wagen auf die Schnellstraße und fuhr nach Cookstown. Dort lebte, wenn es stimmte, was ihre Informanten berichtet hatten, Rainal Righley, ein Fuchswandler und Ehemann von Lisica, der man ein Verhältnis mit McFinley nachsagte.
Die Natur lehrte: Ein Fuchs hatte gegen einen kräftigen Hund niemals eine Chance. Waren die Eifersucht und der Hass auf den Nebenbuhler groß genug, traute sie einem cleveren Mann wie Rainal zu, andere Register zu ziehen. Füchse waren schlau und ließen die Drecksarbeit gerne andere verrichten, um selbst Lob zu kassieren oder sich aus der Affäre zu ziehen.
Die Besiedlung wurde immer dünner, das Land eroberte das Gebiet rechts und links der Straße zurück. Sanfte Hügel in sattem Grün erstrahlten im für die Jahreszeit ungewöhnlichen Sonnenschein, und die letzten Nebelfetzen lösten sich auf. Graue Mäuerchen aus Natursteinen teilten das vielfarbige Grün in ungleichmäßige Muster, einzelne Gehöfte zogen am Wagen vorbei.
Die Landschaft sah so ganz anders aus als ihre Heimat.
Boída hatte sich aus Verzweiflung schon Bildbände von Südamerika gekauft, um ihr Heimweh abzuschwächen. Das genaue Gegenteil war eingetreten.
Doch leider gab es derzeit keine Chance, in den Flieger zu steigen und zurückzukehren. Sie hatte einen anspruchsvollen Auftrag angenommen, der ihr im Endeffekt mehr Macht bringen konnte als damals in Palmyra.
Das lag beinahe siebzehnhundert Jahre zurück. Aber sie erinnerte sich genau, was an jenem verfluchten Tag geschehen war.
Das Auftauchen der beiden fremden Frauen hätte sie warnen müssen, und nicht lange danach war es noch schlimmer gekommen: Im Palast ihres Liebsten, Levantinus, waren sie aufgetaucht, hatten Krach und Tod aus einem kleinen Gerät verteilt und versucht, ihren Gespielen zu töten. Heute wusste Boída natürlich, dass es sich um eine Pistole gehandelt hatte. Im Verlauf des Kampfs hatten sich rätselhafte Dinge ereignet: Eine Art Portal hatte sich geöffnet und sie zusammen mit den Frauen eingesogen; gleich darauf hatte sie das Bewusstsein verloren.
Erwacht war Boída an einem steinigen Strand, gelähmt vom eiskalten Wasser, in dem sie trieb. Sie hatte sofort verstanden, dass es keine Oase in der Nähe von Palmyra war, wo sie sich befand. Ein Schock, verbunden mit schrecklicher Angst. Die Männer, die sie am Strand gefunden und ihr geholfen hatten, hatte sie verschont, nachdem es ihr wieder bessergegangen war. Die gute Tat vergaß sie ihnen nicht.
In Gedanken versunken, verfehlte Boída die Abzweigung nach Cookstown und fuhr einige Meilen weiter, bis sich die nächste Gelegenheit bot. Sie war gespannt, wie der Fuchswandler auf ihren Besuch reagierte.
Boída hatte auch in Palmyra eine kleine Gruppe von Gestaltenwandlern um sich geschart, mit denen sie Levantinus diente. Sie war froh gewesen zu sehen, dass es auch in Irland Werwesen gab: ein Pantherpärchen, Selkies, Füchse, Bären, Hunde und Katzen.
Und noch froher wurde sie, als sie begriff, wie besonders sie war: die einzige Schlange auf der Grünen Insel!
Dank ihres hervorragenden Geruchssinns hatte sie bald gelernt, die irischen Wandler von den Menschen zu unterscheiden und Kontakte zu knüpfen. Die Sprache gestaltete sich als größtes Hindernis.
Boída war vermutlich die Einzige, die sich fließend auf Lateinisch und Griechisch unterhalten konnte und wusste, wie man korrekt betonte. Ihre Indiosprache kannte wohl keiner mehr. Inzwischen beherrschte sie Englisch und Gälisch, was immanent war, wenn man besonderen Eindruck machen wollte: eine Ausländerin, welche die alte Sprache beherrschte.
Sie fuhr nach Cookstown hinein, suchte die Straße und hielt den Mini Cooper vor dem kleinen Steinhäuschen an, das ein irisches Klischee war und aus dem neunzehnten Jahrhundert stammen konnte, inklusive Stroheindeckung. Nur die Satellitenschüssel wollte nicht so recht dazu passen, auch wenn sie sich noch so sehr Mühe gab, hinter dem Schornstein zu verschwinden.
Boída stieg aus. Es roch nach Torffeuer, nach Meer, nach frisch geschnittenem Gras, nach Schafen, nach einem Hauch Frauenparfum und vielen weiteren Gerüchen, die sie beim Einatmen über Nase und vor allem Zunge wahrnahm.
Sie bewegte den Rumpf, um die Steifheit der Fahrt zu verlieren, und spürte die Wärmepflaster, mit denen sie sich am Oberkörper und den Armen ausstaffiert hatte und die sich spannten. Eine gute Erfindung der Moderne. So gelang es ihr, auch bei niedrigeren Temperaturen geschmeidig zu
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