Judastöchter
der Tür stehen und verfolgte, wie sie wendete und davonfuhr. Er lächelte noch immer.
Boída tippte ihr neues Ziel in den Navi ein.
Ganz wohl war ihr dabei nicht. Füchse lockten andere ganz gerne auch mal in die Falle. Warum nicht auch mal eine Schlange? Füchse fraßen Schlangen. Kleine Schlangen.
Es half nichts. Sie musste der Spur nachgehen, die Rainal Righley für sie gelegt hatte. Sie musste es von Amts wegen, und Rainal hatte es gewusst.
* * *
3. Februar, Deutschland,
Sachsen, Leipzig, 00.02 Uhr
Sia hatte sich schon gedacht, ein solches Szenario vorzufinden: Vor dem Hotel standen die Polizeiwagen, mit eingeschaltetem Blaulicht, die Straße war gesperrt worden. Mitten auf der Fahrbahn lag ein Tuch, unter dem sich die Silhouette eines Menschen abhob.
Mal wieder wie im Film.
Wieder liefen Mitglieder der Spurensicherung umher, einige waren damit beschäftigt, einen Pavillon als Sichtschutz um die Leiche herum zu errichten; einer schoss Fotos von den Blutspritzern sowie den Scherben, neben denen kleine Aufsteller mit Nummern drauf standen. Schaulustige, Reporter und Kameraleute waren ebenfalls schon da, drängten sich an den Absperrungen. Die Kälte konnte sie nicht vertreiben.
Eric steuerte den X6 auf den Bürgersteig, noch bevor er und Sia die Absperrungen sowie die Menge erreicht hatten. »Es wird nicht leicht, an Informationen zu kommen. Kameras, Presseleute, aufgeregte Bevölkerung. Das ist zu viel, um einen der Beamten auf die Seite nehmen und mit ihm reden zu können«, prognostizierte er. Schnell gab er ihr seine Handynummer. »Damit wir uns besser koordinieren können.«
Sia hatte nicht vor, ohne neues Wissen abzuziehen.
Ich schaffe das. Es geht um mein Fleisch und Blut, das in Gefahr ist!
Sie zeigte auf das Rudel Kameraleute. »Vermutlich werden wir da schneller fündig als bei den Bullen.« Eric nickte.
Sie gingen auf das Absperrband zu, vor dem sich die Meute staute und Polizisten dafür sorgten, dass keiner die Markierung durchbrach.
»Ich übernehme die Männer, Sie die Frauen.« Sia bog ab und schummelte sich unter die Pressevertreter. Eric schien noch etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber. Sie drängelte sich geschickt bis ganz nach vorne, ohne auf das Murren der Umstehenden zu achten, und endete vor einem Polizisten.
Dann sorge ich für Stimmung. Überraschung bringt die meisten Informationen.
»Entschuldigung, ich bin von der
Leipziger Rundschau:
Stimmt es, dass es sich bei den Toten um Mitglieder eines Entführerrings handelt? Ich habe gehört, dass ein Mann mit einem kleinen Kind aus der Hotelgarage entkommen ist.«
Schlagartig wurde es still um sie herum. Plötzlich hatte sie zwei Mikrofone unter der Nase.
»Tut mir leid, ich erteile keine Auskünfte. Sie müssen sich an die Pressestelle wenden«, sagte der Polizist, dem die zunehmende Aufmerksamkeit unangenehm wurde. Flüchten konnte er jedoch nicht, seine Aufgabe bannte ihn an die Stelle.
»Ich habe außerdem gehört, dass es sich bei dem Kind um ein vermisstes Mädchen handeln soll. Die Mutter des Kinds hatte die Anzeige aufgegeben, und eine Augenzeugin will beobachtet haben, dass es von zwei Männern verschleppt worden ist.« Sia feuerte eine Informationssalve gegen den Beamten und in die Öffentlichkeit. »Was können Sie uns dazu sagen?«
Jetzt ging ein Raunen durch die Vertreter der Medien. Gerüchte waren wie frisches Fleisch im Raubtierkäfig voller hungriger Löwen. Die ersten lauten Rufe brandeten auf, der Polizist hob beschwichtigend die Arme und wusste nicht, was er tun sollte. Der physische Druck nahm zu, es wurde geschoben und geschubst, und plötzlich riss das Absperrband.
»Hey, zurück! Zurück!« Der Beamte rief einen Kollegen zu Hilfe, um die Reporter bändigen zu können, aber sie strömten vorbei und auf den Hoteleingang zu, wo sie die Pressestelle vermuteten.
So war das nicht geplant, aber ich kann damit auch etwas anfangen.
Anstatt der Masse zu folgen, nutzte sie die Gelegenheit und eilte zu dem abgedeckten Leichnam, wo sich gerade kein Beamter der Spurensicherung aufhielt. Die Weißgekleideten standen bei einem Transporter, um weitere Teile für das Zelt zu holen.
Sia kniete sich daneben, hob das Tuch an und betrachtete den Toten.
Es war ein Mann in einer billigen Bomberjacke, an dem auf den ersten Blick nichts Auffälliges war. Er lag mit dem Gesicht nach unten. Der Aufprall hatte seinen Schädel zerschmettert und das Genick gebrochen; auf seinem Rücken zeigten sich die Austrittswunden zweier
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