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Judaswiege: Thriller

Judaswiege: Thriller

Titel: Judaswiege: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Berkeley
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das war eigentlich nicht das richtige Wort. Wie er wohl aussah? Sie machte sich auf den Weg in Steins Büro, ihre Stöckelschuhe klackerten auf dem alten Parkettboden, der vor einigen Jahren liebevoll restauriert worden war.
    Die Tür war offen, aber sie blieb aus Höflichkeit davor stehen und klopfte an das lackierte Holz der Wandvertäfelung. Der Anwalt saß an seinem riesigen Schreibtisch und machte sich Notizen, eine alte Messinglampe warf schummriges Licht auf das weiße Papier. Er winkte sie herein und blickte nach ein paar Sekunden auf.
    »Adrian von Bingen hat zurückgerufen. Er ist in New York und würde Sie gerne heute Abend treffen. Wenn es Ihnen passt, kommt er um 20 Uhr hierher.«
    Stein lehnte sich in seinem Stuhl zurück: »Das ist gut, Miss Lindt. Sagen Sie ihm, er ist wie immer herzlich willkommen.«
    »Er meinte, wenn wir uns nicht melden, kommt er einfach vorbei.«
    »Auch gut. Typisch Adrian. Dann soll er ruhig kommen. Mal sehen, ob der Keller noch eine ordentliche Flasche Rotwein vorzuweisen hat.«
    Pia wandte sich um und wollte gerade den Raum verlassen, als Stein sie noch einmal zurückrief: »Ach, Miss Lindt, ich hätte Sie übrigens gerne dabei heute Abend. Könnten Sie sich um kurz vor acht bei mir einfinden? Es tut mir leid, wenn ich Ihnen die Abendplanung verhagele, aber es könnte sein, dass Arbeit auf uns zukommt.«
    Welche Abendplanung?, ärgerte sich Pia. Seit John ausgezogen war, herrschte abends nichts als Ebbe in ihrem privaten Terminkalender. Ein Rotwein mit Thibault Stein versprach zumindest interessanter zu werden, als getrocknete Apfelringe vor der neuesten Folge von Lost zu knabbern.
    »Kein Problem. Wer ist eigentlich dieser Adrian von Bingen? Er ist mir bisher in den Akten noch nicht begegnet.«
    »Das wundert mich nicht, Miss Lindt. Ich kenne Adrian schon eine halbe Ewigkeit und seinen Vater sogar fast doppelt so lange. Sein Vater ist ein wichtiger Klient für uns, Adrian selbst ist … nun ja, die Franzosen würden wohl sagen, das ›Enfant terrible‹ der Familie. Aber ich mag ihn. Sehr sogar. Er ist mir über die Jahre beinah zu so etwas wie einem Freund geworden.«
    Pia konnte sich bei Steins Arbeitspensum kaum vorstellen, dass er Zeit für Freunde fand. Sie war gespannt darauf, wen Stein in seiner Wohnung empfangen wollte: »Wieso empfangen Sie ihn eigentlich nicht hier in der Kanzlei wie alle anderen?«, fragte Pia.
    »Wie ich schon sagte, er ist ein Freund, Miss Lindt. Und die offiziellen Dienste der Kanzlei könnte er sich ohnehin nicht leisten. Ihm ist es lieber so, und mir ehrlich gesagt auch.«
    »Sie sprachen im Taxi davon, wir hätten ihm eine schlechte Nachricht zu überbringen?«
    »Ja, leider …«, begann ihr Chef und erzählte ihr, warum ihm der Besuch so am Herzen lag.
    Vier Stunden später stand Pia vor Steins Wohnungstür. Sie hatte sich wenigstens noch kurz frischmachen wollen, bevor sie die attraktive Stimme kennenlernen sollte. Und Adrians Geschichte, die ihr Stein am Nachmittag erzählt hatte, hatte ihre Erwartungen noch befördert.
    Von Bingen entstammte einem alten deutschen Adelsgeschlecht mit beachtlichem Vermögen, von dem er allerdings vor fünfzehn Jahren komplett enterbt worden war, nachdem er sich mit seinem Vater wegen seines Werdegangs überworfen hatte: Nach einer Kochlehre, der sein Vater noch zähneknirschend zugestimmt hatte, hatte sich Adrian in den Kopf gesetzt, in Mexico City eine Armenküche zu eröffnen. Seinem Vater gegenüber hatte er die Meinung vertreten, es sei endlich an der Zeit, dass ihre Familie der Welt etwas zurückgebe, von der sie über die Jahrhunderte so viel genommen habe. Sein Vater hatte ihn daraufhin ohne Umschweife aus dem Haus geworfen. In seinen Augen war Adrian ein Nichtsnutz, ein Tagelöhner und ein Schmarotzer, er werde schon sehen, was ihm die Einstellung zum Vermögen seiner Vorfahren einbrächte. Adrian war ohne ein weiteres Wort ausgezogen und nach Mexiko gegangen.
    Dort führte er ein armes, aber erfülltes Leben – und er fand die Liebe seines Lebens: Jessica. Er verlor sie jedoch sechs Jahre später, nur zwei Wochen nach ihrer Hochzeit, im zarten Alter von achtundzwanzig Jahren: Während ihrer Flitterwochen auf Hawaii war sie spurlos verschwunden, ihr Auto entdeckte die Polizei, von einem Sprengsatz zerstört, in einem verlassenen Waldstück. Die groß angelegte Suchaktion endete vier Wochen später ergebnislos.
    Adrian fiel in ein Loch, »tiefer als die Hölle«, so hatte Stein es beschrieben.

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