Judaswiege: Thriller
freundlich wie möglich: »Entschuldigen Sie, Sir, aber das geht nicht. Sie sehen ja, was hier los ist«, deutete sie in den zugegeben einigermaßen überschaubar gefüllten Gastraum.
»Sie werden feststellen, dass Ihr Chef Sie im Moment sehr gerne entbehrt. Er ist bereits informiert und war gerne bereit, Sie gegen zweihundert Dollar für eine halbe Stunde zu beurlauben.«
Was erlaubte dieser Mann sich? Und wieso bot er zweihundert Dollar für eine halbe Stunde? Für den Preis bekam er das nobelste Escort-Girl der Stadt, und die sahen bedeutend besser aus als sie gerade.
Ihr fiel auf, dass ihr Mund offen stehen geblieben war. Sie schloss ihn wieder und konnte kaum glauben, dass sie sich tatsächlich einen Stuhl heranzog und setzte. Der ältere Herr strahlte eine ruhige Autorität aus, die einem unmissverständlich vermittelte, besser zu tun, was er verlangte.
»Ich danke Ihnen sehr, Miss Swell. Sie werden feststellen, dass Sie sich gerne gesetzt haben werden, wenn unser Gespräch beendet ist.«
Was redet der Typ so geschwollen daher?, fragte sich Klara. Von wegen gesetzt haben werden, der hatte doch nicht alle Tassen im Schrank.
Vor dem Fenster bemerkte sie einen Mann, der zu ihnen herüberschaute. Er stand neben einem alten Rolls Royce und trug einen Anzug, der ähnlich teuer war wie der des Geschwollenen. Ihr gehört also zusammen, in die Gegend kommen sonst nie welche aus dem noblen Uptown, schlussfolgerte Klara. Die Karre kostete mindestens hundert Grand. Jetzt war sie tatsächlich gespannt, was der alte Mann von ihr wollte.
»Sie sind Klara Swell, genannt ›Sissi‹, was ich jetzt, da ich das Vergnügen hatte, Ihre Bekanntschaft zu machen – verzeihen Sie mir die Bemerkung –, endlich verstehe. Ehemaliger Agent mit Sonderaufgaben beim Federal Bureau of Investigation. Von den letzten fünf Jahren haben Sie drei mit einigen kurzen Unterbrechungen im Hochsicherheitstrakt der Bradford Hills verbracht. Und Sie haben eine Vorliebe für schnelle Autos, wenn ich recht informiert bin.«
»So wie ich das sehe, kann ich es mir sparen, mich vorzustellen«, ätzte Klara. »Im Übrigen heißt es Special Agent, wenn Sie mich schon an meine Vergangenheit erinnern müssen.«
»Pardon«, gab der alte Mann zurück. »Und verzeihen Sie mir meine Unhöflichkeit. Wir haben vergessen, uns vorzustellen. Mein Name ist Thibault Godfrey Stein, und das ist Pia Lindt, meine Assistentin.« Er schob eine Visitenkarte auf dem Tisch in ihre Richtung. Das Essen hatten die beiden bisher nicht einmal angerührt.
Klara dämmerte, dass sie gar nicht zum Essen gekommen waren. Sie nahm die Visitenkarte in die Hand. Sie sah unglaublich teuer aus. Der Name war erhaben, wie bei einer Banknote, und das Papier schwerer als üblich. Passt zu seinem Outfit, entschied Klara.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie unumwunden.
»Ich möchte Ihnen einen Job anbieten, Miss Swell. Einen, der viel eher Ihrer Qualifikation entspricht als das hier …« Er nickte in Richtung Küche, wo der Koch neugierig seinen Kopf rausstreckte, um nachzusehen, wer so verrückt war, für eine halbe Stunde mit Sissi zweihundert Dollar auf den Tisch zu legen.
»Hören Sie, Mister …«, sie musste einen zweiten Blick auf die Visitenkarte werfen, »… Stein. Wenn Sie schon so viel über mich wissen, dann dürfte Ihnen auch bekannt sein, dass ich in der aktuellen Situation ein wenig … nun ja … eingeschränkt bin.«
»Falls Sie auf Ihre äußerst lästigen Bewährungsauflagen anspielen – ja, darüber bin ich mir im Klaren.«
»Und wie haben Sie sich das vorgestellt, Mr. Stein?« Klaras Neugier war jetzt endgültig geweckt. Das blonde Mädchen lächelte wissend.
»Ich glaube, dazu fällt mir etwas ein …«, versprach der alte Mann und unterbreitete ihr sein Angebot.
K APITEL 5
Juni 2007
Mojave Wüste, Arizona
Die abgelegene Wüstenstraße lag in der prallen Sonne, die Luft flirrte über dem erhitzten Asphalt. Mit zitterndem Arm öffnete Madison Carter die Fahrertür und legte ihr Handy auf das Wagendach. Sie hörte, wie hinter ihr ein zweites Auto hielt, der Kies des Parkplatzes knirschte, als die Reifen blockierten. Sie zitterte wie Espenlaub, ihr Puls jagte ihr das Blut durch die Adern. Ihre überforderten Synapsen gaukelten ihrem inneren Auge für den Bruchteil einer Sekunde eine schöne Zukunft vor: Ihr Bruder, wie er lachend zur Wagentür gelaufen kam, um sie in den Arm zu nehmen.
Hämisches Grinsen.
Aber ihr Bruder kam nicht.
Sie
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