Judaswiege: Thriller
auf dem weißen Tisch aus. Ordentlich legte sie die Aktenstapel nebeneinander und setzte sich auf einen der Stühle: »Wollen wir nicht anfangen?«, fragte sie beflissen.
»Sofort, Anne«, versprach Klara. »Aber wieso dieser weiße Raum, Sam?«
»Die Idee ist ganz simpel. Er ist unser weißes Blatt Papier. Die Jungs von der Experimentellen haben herausgefunden, dass sich die Effektivität einer Ermittlungsgruppe dadurch enorm steigern lässt. Gewohnte Umgebungen fördern gewohnte Denkmuster, und dieser Raum hat nicht zufällig die Form eines Achtecks.«
Sam klappte seinen Laptop auf und drückte einige Tasten, woraufhin die Wände zum Leben erwachten. Wie Wesley bereits vermutet hatte, befanden sich hinter den Glasscheiben an den Wänden hochauflösende Displays, auf denen nun in großen Lettern Worte prangten. »Werfen wir als Erstes einen Blick auf die bisher bekannten Opfer«, sagte Sam. Auf den virtuellen Leinwänden verteilten sich Bilder der Opfer, jede der Frauen bekam eine eigene Wand, die jeweils die mageren Fakten auflistete:
Opfer 1: Jessica von Bingen
Ort der Entführung: Big Beach, Maui, Hawaii
Fundort des Autos: Start des Bamboo Trail, Maui, Hawaii
Fundort der Leiche: n. a.
Entführung: 03.06.2004, ca. 16:40 − 17:00 Uhr
Methodik: Ferngezündete Autobombe, Sprengstoff Eigenbau, Zünder Eigenbau
Opfer 2: Madison Carter
Ort der Entführung: Highway 15, Mojave Wüste, Nevada
Fundort des Autos: Olancha, Kalifornien
Fundort der Leiche: n. a.
Entführung: 28.06.2007
Methodik: Ferngezündete Autobombe, Sprengstoff Eigenbau, Zünder Eigenbau
Opfer 3: Theresa Warren
Ort der Entführung: Casper, Wyoming
Fundort des Autos: n. a.
Fundort der Leiche: Big Horn Nationalpark, Wyoming
Methodik: ?
»Okay«, begann Sam. »Ich erwarte, dass wir hier nach dem Lehrbuch vorgehen, und auch wenn ich weiß, dass wir das in den letzten Wochen schon zwanzigmal durchgekaut haben: Wesley, bitte zeig uns die Bomben.«
Wesley, der naturgemäß die Bedienung des Computers übernommen hatte, gab einige Befehle auf der Tastatur ein, woraufhin sich die Bilder auf den Bildschirmen verschoben oder verschwanden und neue Informationen hinzukamen, bis schließlich alle Informationen zu lesen waren, die sie über die Konstruktion der Sprengsätze gesammelt hatten.
Bennet, dessen Aufgabe die Koordinierung aller beteiligten Kollegen war, was die Autobomben anging, brachte es schnell auf den Punkt: »Wir haben nichts. Das Zeug, aus dem er Zünder und Bomben konstruiert hat, findet man in jedem Supermarkt, die Anleitung dazu im Internet.« Er hob die Handflächen: »Sorry, Leute, aber hier ist wirklich nichts zu holen.«
»Ich bin mir da nicht so sicher, Bennet«, sagte Sam, »aber dazu später mehr. Wesley, die Fotos aus dem Netz bitte.«
Die Wände mit ihrem seltsamen Eigenleben wechselten wieder zur Ansicht der Opfer, diesmal jedoch mit großen Versionen der Bilder, die der Computer im Internet gefunden hatte. Klara verkrampfte sich, denn es fiel ihr immer noch nicht leicht, die Bilder anzuschauen, wenn sie an die Schicksale der Frauen dachte, und vor allem Jessica von Bingens tote Augen ließen sie in letzter Zeit schlecht einschlafen. Die Bilder des Folterwerkzeugs, der Judaswiege, die neben Theresa Warrens fröhlichem Gesicht von den Bildschirmen flirrten, ließen sie kalt schwitzen. Ihr war immer noch nicht klar, worauf Sam hinauswollte, aber der ließ sich nicht beirren: »Meine Hauptfrage ist, wieso er sich so unterschiedliche Frauentypen aussucht.« Sam sprach die Frage aus, die sich Klara seit Tagen stellte: Jessica von Bingen war eine dunkelhaarige, groß gewachsene Frau mit einer etwas zu großen Nase. Hübsch, stark, aber ganz und gar nicht der übliche Typ für Sexualverbrecher, die sich normalerweise weniger selbstbewusste Frauen aussuchten. Madison Carter war von ihrer ganzen Statur her ein vollkommen anderer Typ: helle Haut, ein rundlicher Körper, das Gesicht mondförmig und stark geschminkte Augen, wie der Familienschnappschuss verriet, der neben ihren Bildern aus dem Internet an der Wand prangte. Theresa Warren dagegen: blond, sehr schlank, ein sportlicher Frauentyp, dem die Rolle der Vorzeige-Cheerleaderin keiner im Raum abgesprochen hätte.
»Ist es nicht so, dass manchmal ein Detail entscheidet, wer zum Opfer wird? Ein blauer Rock zur falschen Zeit am falschen Ort?«, warf Bennet in die Runde.
»Kann sein«, gab Sam zurück. »Ist aber in unserem Fall sehr unwahrscheinlich. Die
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