Judaswiege: Thriller
Autobomben sprechen gegen eine spontane Tat, eher für sorgfältige Planung. Und er wird besser, er überlegt immer genauer. Die ersten beiden Autos standen zerbombt dort, wo er sie hochgejagt hat, er hat uns das Feld überlassen. Das dritte Auto hingegen haben wir nicht mehr gefunden. Kann Zufall sein, glaube ich aber nicht. Er wird immer besser. Er. Womit ich bei der wichtigsten Frage wäre: »Wer ist unser Täter? Wesley?«
Der junge Kollege drückte eine Taste, und die Bilder an den Wänden wanderten auf eine Tafel im linken Eck des Raums. Auf den restlichen Monitoren erschienen die entscheidenden Aspekte zur Suche ihres Täters, Begriffe wie »Soziodemografie«, »Orte« und »Motivation« standen als Überschriften über den einzelnen Elementen ihrer »Übertafel«, wie Klara den Raum mittlerweile insgeheim getauft hatte. Sie fächerte sich mit einem Aktendeckel Luft zu: »Übrigens, Sam, wenn uns die Kollegen schon alle Wünsche von den Lippen ablesen, dann bestell doch bitte noch eine Klimaanlage.«
»Habe ich denen schon geschrieben«, bekannte Bennet, der ebenfalls schwitzte. Die Monitore waren zwar wirklich eine praktische Idee, fand Klara, aber sie sonderten eine mordsmäßige Hitze ab.
»Können wir jetzt weitermachen?«, fragte Sam verärgert. Alle beeilten sich, ihm zuzunicken, schließlich ging es jetzt ans Eingemachte, und das Team war gespannt auf die Persönlichkeitsanalyse, die Sam als ihr Vorgesetzter und studierter Psychologe auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse angefertigt hatte.
»Es handelt sich allem Anschein nach um einen Mann zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren.« Während Sam seine Analyse vortrug, ergänzte Wesley die Monitore mit den entsprechenden Informationen. »Ich glaube, dass wir es mit einer vollkommen neuen Art von Täter zu tun haben. Die empirische Sozialforschung hat den Typus vorhergesagt. In der Theorie, wohlgemerkt. Ich glaube, nein, ich bin überzeugt«, Sam flüsterte jetzt fast, »dass wir es mit dem Ersten seiner Art zu tun haben. Der erste Serienmörder mit einer sogenannten Dreifach-Identität.«
Klara, die den Begriff noch nie gehört hatte, schaute ihn fragend an. Auch Anne, Bennet und Wesley hingen an seinen Lippen. Offensichtlich war sie nicht die Einzige, der Triple-Identität rein gar nichts sagte. Sam, der ihre fragenden Gesichter bemerkt hatte, erklärte: »Wie gesagt, existiert dieses Phänomen in der Forschung erst seit Kurzem und ist bisher reine Theorie. Wir bezeichnen damit eine neue Form der Persönlichkeitsstörung, ausgelöst durch relativ junge Phänomene unserer Gesellschaft. Um es euch zu erklären, muss ich ein wenig ausholen: Welches Wort haben wir heute öfter gehört als jedes andere?«
»Nichts, wie in ›wir haben nichts‹?«, platzte Bennet heraus, und alle lachten, nur Sam machte ein angesäuertes Gesicht.
»Internet«, postulierte Sam. »Sowohl im Zusammenhang mit dem Bombenbau hat ihn Bennet erwähnt – die Anleitung sei spielend leicht im Netz zu finden – als auch bei der Verbreitung der Fotos in den Filesharing-Netzen. Ich denke, dass das Internet für unseren Täter zu einer Art zweiten Heimat geworden ist. Aufgrund der Tatsache, dass zwischen den Morden aber mehrere Jahre liegen, gehe ich davon aus, dass unser Täter ein normales Leben führt. Wesley, kannst du bitte drei Tafeln für die drei Identitäten anlegen?« Der Junge quittierte es mit fragendem Blick, aber seine Finger flogen blind über die Tasten.
»Identität eins«, fuhr Sam fort, »ist seine bürgerliche Existenz. Er kann verheiratet sein, obwohl ich es bezweifle. Er hat einen einfachen Job. Vielleicht ist er Mechaniker, vielleicht Nachtwächter, in jedem Fall kann er längere Zeit freinehmen, ohne dass es weiter auffällt. Er ist nicht dumm, aber es genügt ihm. Er wirkt wie ein zufriedener Nachbar, der keine Probleme macht und einem Zucker leiht, wenn welcher fehlt, auch wenn er nie selbst nach Zucker fragt. Ich tippe auf einen unauffälligen Job ohne feste Anstellung. Wenn er soziale Kontakte hat, pflegt er sie unregelmäßig, aber ohne Auffälligkeiten. Wenn er eine Freundin hat, ist er nicht sonderlich liebevoll, aber er schlägt sie nicht. Er kennt sie schon seit Schulzeiten und ist überzeugt, eine andere würde er niemals finden, denn er hat keinen Schlag bei den Frauen, dafür ist er viel zu schüchtern. Und er verbringt viel Zeit im Internet. Er ist ein Technikfreak, der vielleicht eine eigene Werkstatt hat. Er repariert Dinge,
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