Judaswiege: Thriller
versteckten Drähten ab und wurde schnell fündig. An der Mitte der beiden Flügeltüren konnte sie einen übermalten Draht erkennen, der nicht sauber in die Fuge der Tür gearbeitet worden war. Ihr habt halt nicht Fort Knox geschützt, als ihr das unter Zeitdruck und Drohungen von eurem Chef noch schnell fertiggestrichen habt, nicht wahr?, mutmaßte Klara und schabte die Farbe vom Draht. Da sie einmal den Anfang gefunden hatte, war es nicht schwer, auch die anderen Kabel zu identifizieren, und das Überbrücken mit zwei längeren Drähten, die Klara mitgebracht hatte, war auch nicht schwieriger als bei Wesleys Privatwohnung.
Nachdem sie die Alarmanlage ausgeschaltet hatte, schlüpfte sie in das Nachbargebäude. Sie war drin. Jetzt galt es. Ab hier hatte Klara keine einfache Erklärung mehr, dass sie sich in geistiger Umnachtung verlaufen hatte oder ähnliche Unsinnigkeiten, die ihr aber wohl juristisch nicht widerlegt werden konnten. Sie war heute Nachmittag bereits bei Truthleaks gewesen. Wenn sie in dem Gebäude erwischt wurde, sah es übel für sie aus. Aber sie war vorbereitet. So gut das eben in der Kürze der Zeit möglich gewesen war.
Normalerweise nahm sich Klara mehrere Wochen Zeit für die Planung eines Einbruchs und kalkulierte ihre Fluchtwege minutiös, aber in diesem Fall konnten sie einfach nicht mehr warten, und so würde ihre kurze Vorbereitung von heute Nachmittag ohne genaue Kenntnis der Wachpläne ausreichen müssen. Im Fall der Fälle würde sie eben improvisieren müssen. Klara atmete noch einmal tief durch und schlich Richtung Aufgang. Vor der Treppe, die nach oben führte, hielt sie noch einmal inne. Über den Stufen flirrten Neonröhren, Klara wäre es bedeutend lieber gewesen, im Dunkeln weiterzulaufen. Ihre Sohlen schmatzten auf dem blankpolierten falschen Granit. Auf halbem Weg ins Erdgeschoss hörte sie plötzlich ein Geräusch: Ein Schlüssel klimperte an einem großen Bund. Klara drückte sich so eng sie konnte an die Wand des Treppenhauses.
»Nein, Nina, ich hab dir doch gesagt, ich bringe das in Ordnung. Mach dir keine Sorgen, Schatz, wirklich.«
Klara atmete auf. Der Wachmann war ins Treppenhaus geflüchtet, um in Ruhe telefonieren zu können. Jede Wette, dass draußen noch ein feixender Kollege von dir steht. Trotzdem blieb ihr nichts anderes übrig, als dort zu warten, wo sie war. Klara schaute auf die Uhr. Es war mittlerweile schon nach zwei, sie lag nicht mehr im Zeitplan. Bis spätestens 4 Uhr musste sie das Gebäude wieder verlassen haben, zu groß wäre das Risiko, einer früh eingeteilten Putzkolonne, die das Büro noch vor Arbeitsbeginn zu säubern hatte, zu begegnen. Und der Mann hörte einfach nicht auf zu telefonieren. Mein Gott, Nina, glaub ihm doch endlich, mir läuft die Zeit davon. Nina tat Klara den Gefallen erst über zehn Minuten später, Klara blieben nur noch etwas über anderthalb Stunden. Und alles nur, weil der Typ Ninas Trockner nicht repariert hatte und dann auch noch mit seinen Kumpels ausgegangen war. Get a life, Nina, ärgerte sich Klara und schlich weiter.
Als sie im dritten Stock angekommen war, prüfte sie noch einmal anhand des Plans, den sie sich eingeprägt hatte, ob sie auch die richtige Tür erwischt hatte. Hatte sie. Auf ihrem Weg zum Waschraum hatte sie heute Mittag einen kleinen Störsender an der Alarmanlage zum östlichen Treppenhaus angebracht. Klein, aber sehr effektiv. Klara drückte einen Knopf auf der dazu passenden Fernbedienung und aktivierte so den Impuls. Auf ihrem Gerät leuchtete eine grüne Diode. Die Luft war rein. Mit ihrem Dietrich öffnete Klara das Schloss und betrat die Zentrale von Truthleaks.
Glücklicherweise war das Gebäude bei Weitem nicht so gut geschützt, wie man es für eine solche Firma hätte erwarten dürfen, aber zum einen standen die Server, der wahre Schatz der Organisation, in der Schweiz, und zum anderen waren der öffentliche Ruhm und die damit verbundenen Spendengelder für Truthleaks ein recht junges Phänomen, hatten sie doch ihren Durchbruch vor gerade einmal drei Tagen mit der Veröffentlichung der Gopher-Tapes erreicht.
Klara wählte Wesleys Nummer. »Ich bin drin. Und jetzt?«
»Suchst du das Terminal oder den Computer von den Datenbankjungs.«
»Und wie soll ich das anstellen?«, fragte Klara.
»Ganz einfach: Such den Computer mit der dreckigsten Tastatur.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Mein voller Ernst. Vertrau mir.« Sehr kreative Vorschläge machte er, der junge Herr Kollege.
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