Judith McNaught
ihnen blieb die Duchess of
Clermont stehen und lauschte Charity Thorntons zornigem Monolog. Als sie aufsah,
blieb ihr Blick an etwas in der anderen Ecke des Saals hängen. »Ich traue
meinen Augen nicht«, stieß sie hervor. Überall entstanden hektische Gespräche.
Sie beugte sich vor und befahl ihrer Enkelin mit lauter Stimme, damit sie in
dem Lärm gehört wurde: »Dorothy, richte dein Haar und dein Kleid. Dies ist eine
Chance, die du vielleicht nie wieder haben wirst.« Der barsche Befehl lenkte
Sherrys Aufmerksamkeit auf Dorothy, die sich gehorsam erhoben hatte, um ihre
Frisur zu richten, wie auch die Hälfte der anderen Debütantinnen in Sherrys
Blickfeld. Die Mädchen, die sich nicht um ihre Haare kümmerten, glätteten
zumindest ihre Röcke. Diejenigen, die nicht bereits mit ihren Partnern auf der
Tanzfläche standen, strömten in Scharen zum Ruheraum, und auch sie zupften und
glätteten dabei. »Was ist los?« fragte sie mit einem verwirrten Blick Nicki,
der ihr die Sicht versperrte.
Sein Blick glitt über die blonden
und dunklen Köpfe, und er registrierte gerötete Wangen und gierige Blicke. Ohne
sich die Mühe zu machen, sich umzusehen, antwortete er: »Entweder ist auf der
Tanzfläche ein Feuer ausgebrochen, oder aber Langford ist gerade eingetroffen.«
»Das kann nicht sein! Es ist schon
nach elf, und die Türen sind versperrt.«
»Nichtsdestotrotz würde ich ein
kleines Vermögen darauf verwetten, daß Langford dahintersteckt. Die
Jagdinstinkte der weiblichen Spezies haben den Höhepunkt erreicht, und das
bedeutet, die begehrteste Beute liegt im Blickfeld. Soll ich mich umsehen und
nachschauen?«
»Aber bitte
nicht so auffällig.«
Er versprach es, drehte sich herum
und bestätigte ihr dann: »Er ist gerade stehengeblieben, um die Schirmherrinnen
zu begrüßen.«
Sherry reagierte völlig anders, als
sie ursprünglich vorgehabt hatte. Sie duckte sich um Nicki herum und zog sich
hastig in den Ruheraum zurück – jedoch freilich nicht, um ihre Kleidung zu
richten oder ihr Aussehen zu überprüfen. Nur, um die Fassung wiederzugewinnen.
Und sich dann vielleicht doch ein bißchen zurechtzumachen.
Während sie in der Schlange vor dem
Ruheraum wartete, entdeckte sie, daß ihr Verlobter Stadtgespräch war. Die Dinge,
die sie hörte, waren ebenso aufschlußreich wie peinlich für sie. »Meine ältere
Schwester fällt in Ohnmacht, wenn sie hört, daß Langford heute abend da war und
sie nicht«, erzählte eines der Mädchen ihren Freundinnen. »Im letzten Herbst
hat er sie auf Lady Millicents Ball bevorzugt aufgefordert und sie dann völlig
fallengelassen. Seitdem hegt sie eine Schwäche für ihn.«
Ihre Freundinnen blickten sie
schockiert an. »Aber letzten Herbst«, stellte eine von ihnen richtig, »hatte
Langford doch vor, Monica Fitzwaring einen Antrag zu machen.«
»Oh, das kann ich mir unmöglich
vorstellen. Ich habe zugehört, wie meine Schwestern darüber redeten, und sie
be zeugten alle, er habe ...«, sie legte eine Hand über den Mund, und Sherry
mußte ganz genau hinhören, »letzten Herbst eine heiße Affäre mit einer gewissen
verheirateten Dame gehabt.«
»Hast du schon einmal seine chere
amie gesehen?« fragte eine andere, und die Mädchen vor ihnen drehten sich
um. »Meine Tante hat sie vorgestern miteinander im Theater gesehen.«
»Chere amie?« entschlüpfte es Sherry, ohne daß sie
es wollte. Er war mit einer Frau im Theater gewesen, direkt nachdem er mit
Sherry und seiner Familie zu Abend gegessen hatte.
Die Mädchen, denen man sie zu Beginn
des Abends vorgestellt hatte, waren glücklich, daß sie Sherry mit all den Informationen
versorgen konnten, die ein Neuling in ihrem Kreis, und dazu noch eine
Amerikanerin, brauchte, um die Feinheiten von Klatschgeschichten voll zu
schätzen.
»Chère amie ist eine Kurtisane, eine Frau für
die niederen Bedürfnisse eines Mannes. Helene Devernay ist die schönste
Kurtisane von allen.«
»Ich habe eines Abends ein Gespräch
meiner Brüder belauscht, und sie sagten, Helene Devernay sei das himmlischste
Geschöpf auf der Welt. Sie liebt blasses Violett, wißt ihr ... und Langford hat
für sie eine silberne Kutsche mit lavendelfarbenen Samtpolstern bauen lassen.«
Lavendelfarben. Dieses durchsichtige lavendelfarbene
Kleid, das Dr. Whitticomb abgelehnt hatte, als er so betont zu dem Earl gesagt
hatte, »Lavendelfarben war es also«. Es gehörte der Frau, die seine
»niederen Bedürfnisse« befriedigte. Sherry verstand unter Leidenschaft
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