Judith McNaught
Sheridan
enttäuscht. »Ich glaube nicht, daß mir das gefällt.«
»Jetzt, wo sie feucht sind, sehen
sie aus wie flüssiges Silber.«
»Na ja, vielleicht sind sie nicht
ganz so schlimm. Wie steht es mit dem Übrigen?«
»Nun, Ihr Gesicht ist blaß und
tränenüberströmt, aber es ist trotzdem ein recht hübsches Gesicht.«
Ihr Gesichtsausdruck schwankte
zwischen Entsetzen, Tränen und Lachen, doch zu seiner Erleichterung und Überraschung
entschied sie sich für das Lachen. »Welche Farbe hat mein Haar?«
»Im Moment«, wich er aus, »liegen
Ihre Haare unter einem großen, weißen ... hm ... Turban verborgen. Es gilt neuerdings
als der letzte Schrei, im Bett einen Turban zu tragen, wissen Sie.« Am Abend
des Unfalls war es bereits dunkel gewesen, so daß er ihre Haarfarbe unter der
Haube nicht hatte erkennen können, und später hatte Blut die Haare verdeckt.
Immerhin ließen sich ihre braunen Wimpern erkennen, also bestand Grund zu der
Annahme, daß ihre Haare dieselbe Farbe hatten. »Ihre Haare sind braun«, sagte
er entschlossen. »Dunkelbraun.«
»Dazu haben Sie jetzt aber lange
gebraucht.«
Verwirrt, nicht mißtrauisch sah sie
ihn an.
»Ich bin kein guter Beobachter – in
manchen Dingen jedenfalls«, erwiderte er, ziemlich geistlos, wie er fand.
»Kann ich bitte einen Spiegel
haben?«
Stephen befürchtete eine
Schreckensreaktion von ihrer Seite, sofern sie ihr Gesicht auch im Spiegel
nicht wieder erkannte. Außerdem wußte er nicht, ob sie in Panik geraten würde,
sobald sie ihren bandagierten Kopf und die blutverkrustete Wunde an der
Schläfe sah. Er wußte jedoch ganz genau, daß er Whitticomb dabeihaben wollte,
wenn sie sich zum ersten Mal im Spiegel betrachtete, für den Fall, daß sie
Medikamente brauchte. »Ein anderes Mal«, sagte er deshalb. »Vielleicht morgen.
Oder bei der Entfernung des Verbands.«
Sheridan spürte, warum er ihrem
Wunsch nicht nachkommen wollte, aber da ihr nicht nach einem weiteren Tränenausbruch
zumute war und sie außerdem davor zurückschreckte, ihm die Situation noch
weiter zu erschweren, kam sie auf seine Bemerkung über Turbane zurück. »Ich
finde, Turbane sind recht praktisch. Sie ersparen einem das Bürsten und Kämmen
und so weiter.«
»Genau«, erwiderte Stephen, der sie
für die Anmut und Tapferkeit bewunderte, mit der sie die enorme Anspannung
bewältigte. Er war so dankbar, daß sie sprechen konnte, und so gerührt von
ihrer starken Haltung, daß es ihm ganz normal und angemessen vorkam, seine
Hand auf die ihre zu legen, in diese faszinierenden, silbergrauen Augen zu
lächeln und sanft zu fragen: »Haben Sie starke Schmerzen? Wie geht es Ihnen?«
»Ich spüre nur ein bißchen Kopfweh«,
erklärte sie und erwiderte sein Lächeln, als sei es auch für sie ganz
natürlich und angemessen. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Mir geht
es nicht so schlecht, wie ich aussehe.«
Ihre Stimme war weich und sanft, ihr
Gesichtsausdruck jedoch offen und direkt. Sie hatte weibliche Besorgnis über
ihr Äußeres gezeigt, dann jedoch ruhig akzeptiert, daß sie zur Zeit nicht so
gut aussah, und jetzt machte sie sogar Witze darüber. Ihr Verhalten vermittelte
Stephen den Eindruck, daß ihr . Verstellung und Anmaßung gänzlich
fremd waren. Was das betraf – und vielleicht auch, was andere erfreuliche Dinge
betraf –, wirkte sie erfrischend einzigartig.
Leider führte diese Feststellung
sofort zu einer weiteren, die seine Freude schwächte und dazu führte, daß er seine
Hand wegzog. Was er tat und wie er an sie dachte, war keineswegs natürlich
oder angemessen. Er war nicht ihr Verlobter, wie sie glaubte, sondern
ausgerechnet der Mann, der die Schuld für den Tod ihres Verlobten trug. Anstand
und Achtung vor dem jungen Mann, den er getötet hatte, und ganz einfach guter
Geschmack verlangten, daß er körperlich und geistig Abstand von ihr hielt. Er
besaß als allerletzter Mensch auf Erden das Recht, sie zu berühren oder auch
nur irgendwie für sich persönlich an sie zu denken.
In der Hoffnung, dem Ende seines
Besuches eine heitere Note zu geben, stand er auf und lockerte mit kreisenden
Bewegungen seine schmerzenden Schultern. Er griff ihre letzte Äußerung über
ihr Aussehen auf und meinte abschließend: »Alles in allem würde ich sagen, wenn
ich Sie jetzt beschreiben müßte, Sie sehen aus wie eine aufgeputzte Mumie.«
Sie kicherte leise, aber er merkte,
daß sie schon wieder müde wurde. »Ich schicke Ihnen das Mädchen mit dem
Frühstück. Versprechen
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