Judith McNaught
seines warmen Lächelns fühlte sie sich
schüchtern, und sie spürte Hitze in sich aufsteigen. Er war so schön – auf eine
dunkle, männliche Art –, daß es ihr schwerfiel, ihn nicht dauernd anzustarren,
und noch schwerer fiel es ihr, zu glauben, daß er bei all den Frauen in seinem
eigenen Land gerade sie ausgesucht hatte. Sie befand sich gern in seiner
Gesellschaft, sie liebte seinen Humor und die nette Art, wie er sie behandelte.
Sie zählte die Stunden zwischen seinen Besuchen und freute sich auf jeden
einzelnen, aber bisher waren die Besuche immer nur sehr kurz und unergiebig ausgefallen.
Und deshalb wußte sie immer noch nichts über sich, über ihn oder ihre frühere
Beziehung. Sie wollte nun nicht länger in dieser Ungewißheit leben und darauf
warten, daß ihr launenhaftes Erinnerungsvermögen zurückkam und ihr all die
Antworten gab.
Sie teilte Lord Westmorelands
Ansicht, sie solle ihre Gesundheit nicht in Gefahr bringen, indem sie ihr
Gedächtnis überstrapazierte, aber ihr Körper war jetzt geheilt. Sie war
aufgestanden, hatte gebadet und sich die Haare gewaschen, und dann den
Morgenmantel angezogen, um ihm zu beweisen, daß es ihr gut genug ging, um
Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. Sie stand ein bißchen unsicher auf
den Beinen, aber das konnte an ihrem langen Krankenlager liegen, oder, noch
wahrscheinlicher, an der Nervosität, die sie manchmal in seiner Gegenwart
verspürte.
Mit einem Nicken wies sie auf die
zwei einladenden, mit blaßgrüner Seide bezogenen Sofas neben dem Kamin. »Würde
es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir uns setzten? Ich habe leider so lange im
Bett gelegen, daß meine Beine ganz geschwächt sind.«
»Warum haben Sie denn nichts
gesagt?« fragte Stephen und trat beiseite, damit sie ihm vorausgehen konnte.
»Ich war nicht sicher, ob das
erlaubt ist.«
Sie kuschelte sich auf das Sofa, zog
ihre bloßen Füße unter sich und drapierte den Morgenmantel sorgfältig darum.
Ganz offensichtlich hatte sie vergessen, stellte Stephen fest, daß sich
wohlerzogene junge Damen – außer mit ihren Ehemännern – nicht mit Herren in
ihrem Schlafzimmer unterhielten. Stephen hingegen war sich dessen ebenso
bewußt wie seiner eigenen Grenzübertretung bei dieser Angelegenheit. Er
beschloß, beides zugunsten seines eigenen Verlangens zu vergessen. »Warum
sagten Sie, Sie seien sich nicht sicher, ob Sie sich hinsetzen dürften?«
Ihr verlegener Blick glitt zum
Kamin, und Stephen empfand eine schon lachhafte Enttäuschung darüber, daß er
so ihr Gesicht nicht mehr betrachten konnte. Auf genauso absurde Weise freute
er sich, als sie es ihm wieder zuwandte. »Constance – das Mädchen – hat mir
gesagt, daß Sie ein Earl sind.«
Sie sah ihn an, als hoffte sie, er
würde es abstreiten – und das machte sie für ihn zur ungewöhnlichsten Frau, die
er je kennengelernt hatte.
»Und?« fragte er, als sie nicht
weiterredete.
»Und daß ich Sie korrekterweise mit 'Mylord'
anreden müßte.« Als er nur gespannt die Augenbrauen hob, fuhr sie fort: »Zu den
wenigen Dingen, die ich anscheinend noch weiß, gehört, daß man sich in der
Gegenwart eines Königs erst dann hinsetzen darf, wenn er einen dazu
auffordert.«
Stephen mußte an sich halten, um
nicht in lautes Lachen auszubrechen. »Ich bin aber kein König, nur ein Earl.«
»Ja, schon, aber ich war mir nicht
sicher, ob dafür nicht das gleiche gilt.«
»Das tut es nicht, und da wir schon
einmal von dem Mädchen reden, wo zum Teufel steckt sie eigentlich? Ich habe
ausdrücklich angeordnet, Sie zu keiner Zeit allein zu lassen.«
»Ich habe sie weggeschickt.«
»Wegen ihrer Reaktion auf Ihre
Haare«, vermutete er laut. »Ich verstehe, daß ...«
»Nein, sondern weil sie seit dem
Morgengrauen bei mir war und so erschöpft aussah. Sie hatte schon das Zimmer aufgeräumt,
und ich wollte ganz bestimmt nicht gebadet werden wie ein Kleinkind.«
Stephen hörte ihr überrascht zu,
aber sie steckte schließlich auch voller Überraschungen, wie er bei ihrer
nächsten Äußerung feststellen mußte, die sie mit großer Entschlußkraft und nur
einem leisen Zittern der Unsicherheit vortrug. »Ich habe heute einige
Entscheidungen getroffen.«
»So, haben Sie das«, sagte er und
mußte über ihren entschlossenen Gesichtsausdruck lächeln. In ihrer Position
konnte sie gar keine Entscheidungen fällen, aber er sah sich nicht veranlaßt,
sie darauf hinzuweisen.
»Ja, ich habe beschlossen, daß ich
am besten mit meinem Gedächtnisverlust
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