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Judith McNaught

Judith McNaught

Titel: Judith McNaught Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Legenden der Liebe
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Höflichkeit beibringen
sollen.«
    Auf dem
darüberliegenden Stockwerk fuhr ein Lakai, der mit einer vorbeikommenden Zofe
geflirtet hatte, herum und spähte in die Eingangshalle hinunter, während ihn
das Mädchen vor lauter Eifer, sich über die Brüstung zu lehnen, um besser sehen
zu können, beiseite drückte. Ein paar Meter von Sheridan entfernt stießen vier
Lakaien, die in einer akkuraten Reihe hintereinander mit Silbertabletts zum
Speisezimmer gingen, plötzlich zusammen, weil der erste Lakai abrupt
stehengeblieben war. Ein weiterer weißhaariger Mann, jünger als Hodgkin, aber
ganz genauso angezogen wie er, tauchte aus dem Eßzimmer auf und blickte sich
finster um, als der Deckel einer Wärmepfanne mit lautem Knallen zu Boden fiel
und bis vor sein Bein rollte. »Wer ist verantwortlich für ...«, verlangte er zu
wissen, aber da sah er Sheridan. Während sein Blick über ihre Haare, ihr Gewand
und ihre bloßen Zehen glitt, schien auch er für einen Augenblick die Kontrolle
über seine Gesichtszüge zu verlieren.
    Ohne auf das Chaos um sie herum zu
achten, lächelte Sheridan Hodgkin an und sagte freundlich: »Wissen Sie, es ist
für die meisten von uns nie zu spät, unsere Irrtümer einzusehen. Ich werde zu
einem geeigneten Zeitpunkt dem Earl gegenüber erwähnen, daß er einen Mann
Ihres Alters korrekter mit 'Mr. Hodgkin' anreden sollte. Ich könnte ihm
vielleicht vorschlagen, er solle sich einmal in Ihre Lage versetzen und sich
vorstellen, er sei so alt wie Sie ...«
    Sie hielt verwirrt inne, weil der
alte Mann die weißen Brauen fast bis zum Haaransatz hochzog und ihm die trüben
Augen beinahe aus den Höhlen traten. Der Zorn über den Earl hatte ihr
Taktgefühl überwogen, aber nun merkte Sheridan, daß der alte Mann
offensichtlich Angst hatte, durch ihr Eingreifen seine Stelle zu verlieren.
»Das war dumm von mir, Mr. Hodgkin«, sagte sie kläglich. »Ich werde kein Wort
darüber verlieren, ich verspreche es.«
    Im Stockwerk über ihnen und in der
Halle atmeten die Dienstboten kollektiv auf, aber der Seufzer der Erleichterung
brach abrupt ab, als Hodgkin die Türen zum Salon öffnete und sie hörten, wie
das amerikanische Mädchen in arrogantem und keineswegs servilem Ton zu ihrem
Herrn sagte: »Sie haben geläutet, Mylord?«
    Stephen fuhr herum, als er ihre
Worte hörte, und erstarrte mitten in der Bewegung. Er unterdrückte ein halb
entsetztes, halb bewunderndes Lachen und starrte sie einfach nur an. Sie stand
vor ihm, ihre Nase keck in die Luft gereckt, und funkelte ihn mit ihren großen
grauen Augen an. In scharfem Kontrast zu ihrem eisigen
Gesichtsausdruck und ihrer hochmütigen Haltung stand der weiche, wogende
Frisiermantel aus üppig fallender, lavendelfarbener Seide, der ihre bloßen
Schultern verführerisch zur Geltung brachte. Sie hielt ihn vorne
zusammengerafft, so daß man unter dem hochgezogenen Saum ihre nackten Zehen
sehen konnte. Ihr tizianrotes Haar, noch feucht in den Spitzen, fiel über
ihren Rücken und ihre Brust, als wäre sie ein Aktmodell von Botticelli. Eigentlich
biß sich das blasse Violett mit ihrer Haarfarbe, aber ihre milchweiße Haut
wirkte so durchscheinend, daß sie eine eher dramatische als unangenehme Wirkung
erzielte. In seiner Benommenheit brauchte Stephen zunächst einen Augenblick,
um sich klarzumachen, daß sie Helenes Frisiermantel nicht absichtlich
ausgesucht hatte. Sie trug ihn nicht aus dem erniedrigenden Wunsch heraus, die
guten Sitten zu mißachten oder ihn zu verärgern, sondern weil sie nichts
anderes zum Anziehen hatte. Er hatte vergessen, daß ihre Koffer ja auf dem
Schiff geblieben waren. Wenn allerdings dieser häßliche braune Umhang, den sie
getragen hatte, etwas über ihren Geschmack in Kleiderfragen aussagte, dann zog
er es vor, sie in Helenes Peignoir zu sehen. Die Dienstboten würden natürlich
seine liberalen Ansichten nicht teilen, deshalb notierte er sich im Geiste,
gleich als erstes morgen früh ihr Kleiderproblem zu lösen. Im Augenblick konnte
er nur dankbar sein, daß der Frisiermantel sie mit ausreichender Schicklichkeit
bedeckte.
    Er unterdrückte ein bewunderndes
Lächeln und beobachtete, wie sie sich bemühte, ihre frostige Fassade unter
seinem prüfenden Blick aufrechtzuerhalten. Es faszinierte ihn außerordentlich,
wieviel sie ihm vermitteln konnte, ohne sich zu bewegen oder etwas zu sagen.
Sie stand in ihrer Unschuld an der Schwelle zum Frausein, und verlockte ohne
von Weisheit oder Vorsicht behindert zu sein. Stephen stellte sich

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