Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
lächeln, lächeln!» So gut ich die Empörung in der Allgemeinheit verstehen konnte und kann, so wenig vermag ich diese Menschen zu verstehen. Wenn auch ich als letzter das Recht habe, jemanden zu kritisieren, so sind doch Leute, die mit Entsetzen Scherz treiben, für mich keine Menschen, sondern Hyänen.
Du lieber Gott, es tat und tut mir doch so leid! Ich darf gar nicht zuviel an die armen Würmer denken, das ist nicht gut. Warum denn? Warum? Hatte mich meine Veranlagung so richtig in ihren Fängen, war eben alles aus, da gab es kein Entgegenstellen oder gar einen eigenen Willen! Und weil ich Kinder eigentlich immer so gern hatte, bin ich natürlich mit der Zeit seelisch vollkommen kaputtgegangen. Zum Schluß durfte mich doch bald keiner mehr ansprechen, dann ging ich schon in die Luft. «Reaktion» nenntman das wohl. Ich hatte eben, grob gesagt, keine Gewalt über diesen verdammten Trieb, der auch nicht nur einer war, sondern aus mehreren bestand. Und manches gibt es da noch, das ich beim besten Willen nur einem Arzt sagen kann und werde!
Und nun habe ich also mein «Päckchen», das ich mein Leben lang zu tragen habe. Wie lange aber, so frage ich, hält das ein Mensch aus, der trotz allem sein Herz und sein Gewissen nicht verloren hat?
***
Eine einmalige, nämlich eine gute Rolle in Jürgens Leben spielte die Schwester seines Adoptivvaters, seine Tante Maria-Theresia, die er Tante Marthea nannte. Sie war es, die sich von einer befreundeten Ärztin ein kleines Aufklärungsbuch empfehlen ließ, das Buch kaufte und es ihrer Schwägerin für Jürgen schenkte, als er in die Pubertät kam.
Ich darf diese bewunderungswürdige, herzensgute Frau immer noch nicht beim Namen nennen: Ihrer Tochter ist es lieber, ihre Verwandtschaft mit dem Kindesmörder zu verheimlichen. Diese Tante hat den Mut aufgebracht, im zweiten Prozeß gegen Jürgen als wichtige, von der Familie Bartsch als die einzige Zeugin auszusagen. Das hat sie auch einiges gekostet. Im August 1988 schrieb sie mir:
«Von meinem Bruder und seiner Frau bin ich nicht im ‹Bilde›, wie man so genau sagt. Wie meine Schwägerin erzählt, bin ich eine ‹schlimme› Frau, die Jürgen nur aushorchte, um es weiterzuerzählen. Aber ich lebe auch so gut und in meinem Frieden. Man muß eben auch Gutmütigkeit ‹bezahlen›. Sie wissen, wie ich zu Jürgen stand. Bei Ihnen brauche ich mich nicht reinzuwaschen.»
Im Oktober 1966 schrieb Jürgen an seine geliebte Tante Marthea:
«Ja, oft war ich bei Euch! Und sehr gern. Ihr konntet es gar nicht merken, denn da war nichts, was meinen Trieb angeregt hätte.Nur ein paarmal war es schwer für mich, als der kleine H. da war. Und ich war damals sehr froh, daß ich nie mit ihm allein war. Auf ihn sprach mein Trieb nämlich ziemlich an. Das ändert nichts an der Tatsache, daß ich ihn sehr gern hatte. Ich habe überhaupt Kinder eigentlich sehr gern! Klingt das absurd? Auf den ersten Blick sicher. Doch natürliche Kinderliebe ist eine Sache und Triebhaftigkeit eine andere. Nicht jeder wird es mir glauben, vielleicht niemand außer Dir und meinen Eltern, aber ich denke sehr viel an die Kinder und auch an die Eltern der Kinder. Ich habe das Gefühl, daß das meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist. Gewiß, ändern kann man nun nichts mehr! Doch wenn einem die Lebenden nie verzeihen können, vielleicht können es die Toten.
So viele Leute haben mich gefragt, was ich denn nun denke, was werden soll. Ich habe darauf nichts gesagt. Ich habe einen solchen Haß auf mich selbst entwickelt, daß ich diese Frage gar nicht stelle. Ich finde, ich habe es nicht verdient, daß nochmal irgendwann etwas ‹aus mir werden› sollte.
‹Du bist doch noch so jung!›, sagen sie.
Ja, um Himmels willen waren die Kleinen denn nicht erst recht jung? Es klingt so hoffnungslos, wie ich bin: Ich erwarte vom Leben nichts mehr!
O ja, einen Wunsch habe ich doch, einen großen sogar! Einmal noch möchte ich etwas für Kinder tun! Ob es jemals erfüllt wird? Entschuldige bitte, aber ich kann jetzt nicht mehr, ich muß schleunigst etwas rauchen und lesen.»
***
Am 4. November 1966 an Heinz Möller:
Es war eben so, daß ich innerlich vollkommen gespalten war und es heute noch bin. Mein eigentliches Wesen und meine «Krankheit» waren wirklich zwei ganz verschiedene Dinge. Ich konnte mich selbst nicht verstehen und wußte doch genau, daß es bis zum bitteren Ende weitergehen würde, daß es niemals ein Zurück von meinem Trieb
Weitere Kostenlose Bücher