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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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geben würde. Genau wußte ich, daß es eines Tageskeine Rettung mehr geben würde, kein Pardon. Abgesehen davon, daß man bei uns zu Hause (traurig, aber wahr!) sowieso nie feiern konnte, konnte ich auch in mir selbst nicht das geringste feierliche Gefühl entdecken. Sicher, woher auch noch? Weihnachten war es immer besonders schlimm, ich dachte an andere Dinge, nicht nur Weihnachten. An Dinge, die mir niemals aus dem Sinne gehen werden. An das Haus in der Herwarthstraße, das ich sogar aufgesucht hatte, ich weiß bis heute nicht warum. Ich suchte auch, bis ich den Namen «Jung» an einer Klingel fand. Dann sah ich an dem Haus hoch und sah den Vater aus dem Fenster schauen. Woher ich das wußte? Darauf gibt es eine einfache und klare Antwort: Man konnte es sehen! Ich dachte an das Haus in Gelsenkirchen, das Elternhaus von Peter Fuchs. Es war das Haus, in dem bis zum 21.   6., bis zum Tage meiner Festnahme, keine Tür je abgeschlossen wurde! Das war der arme Junge, den ich auf dem Rückweg aus den Ferien aufgriff. Ohne Umschweife: Ich sah sofort, daß der Kleine sich in Essen verlaufen hatte und nicht wußte, wohin er sich wenden sollte. Ich nutzte das sofort aus. Der Junge hatte seit morgens nichts gegessen, und ich sehe noch heute sein vor Glück strahlendes Gesicht vor mir, als ich ihm meine Hilfe anbot.
    Das hätte mich doch um Himmels willen rühren müssen? Das sage ich mir heute und das sagte ich mir damals! Doch in dem Stadium konnte mich nichts mehr halten, nichts mehr erbarmen. Man konnte mich dann (und das ist mein Ernst) nur noch mit einem Raubtier vergleichen, das sein Opfer schon in den Fängen hat. Solch ein Raubtier stirbt eher, als es seine Beute freigibt. Auch ich wäre in der Zeit eher gestorben, als auch nur einen Schritt zurück zu tun! Etwas ganz Anderes war es, wenn ich hinterher daran dachte, ja dann war ich mir bewußt, was ich war, und nannte mich auch so. Doch wehe, wenn ich dann wieder durch die Straße fuhr und Jungen sah. Dann war es aus mit der Reue, mit dem Schmerz, ja mit dem Mitleid und dem Weinen. Es war furchtbares Weinen, denn es war sinnlos. Denn es konnte weder den Kindern noch mir helfen. Ja, es war sinnlos, doch es tatweher, viel weher als normales Weinen, denn ich war mir der grausamen Tatsache gewiß, daß ein Teil der Tränen im voraus gegossen wurde. Ja, so war es wirklich. Und ich mußte mich zwingen, nicht daran zu denken, daß der Vater des Peter Fuchs für die Rückkehr seines Jungen den langersehnten Fußball und auch Fußballschuhe gekauft hätte. Doch wer ein Gewissen und ein Herz hat, solange er normal denken kann, der kann sich dem nicht verschließen!
    Ja, ich sah den kleinen Ulrich im Auto neben mir sitzen, und ich hörte ihn sagen, «Nein, ich will kein Geld von Ihnen haben, bestimmt nicht, Sie haben doch auf der Kirmes schon so viel für mich ausgegeben!» Und das Furchtbarste: die letzte Minute des kleinen elfjährigen Manfred. Wie er die Augen noch einmal aufschlägt und mich fragt, ja
mich
fragt, ohne Haß, ohne Schmerz und ohne Angst, und ich lese in diesen Augen und finde das darin, das ich nie, niemals begreifen werde: Verzeihung, ja sogar Mitleid mit mir! Und das bestätigt seine schwache Frage: «Kommst du jetzt hinter Gitter?» Dann ist es aus.
    Ich weiß nur noch, daß ich mich auf die Steine geworfen habe und geheult wie ein Schloßhund. Wie lange? Genau weiß ich das nicht. Weinen Sie jetzt? Ich auch. Wissen Sie, wenn ich nicht von meinem Trieb beherrscht bin (was ja immer auch hier nicht aufgehört hat), ertappe ich mich immer dabei, daß ich mir sehnlichst wünsche, mit den Kindern sprechen zu können, sie um Verzeihung zu bitten. Doch das habe ich mir für ewig selbst verdorben. Und das peinigt mich von Tag zu Tag und das wird nie aufhören. Ich würde so gern den einzigen Jungen, der noch lebt, nicht um Gnade, sondern um Verzeihung bitten. Doch auch das muß ich mir versagen. Du lieber Himmel, wie würde es ausgelegt werden!
    ***
     
     
    22.   11.   1966
     
    Das Endergebnis (der eigene unterdrückte Wille) rührt nicht daher, daß der betreffende Mensch sich «gehen gelassen» hat,sondern einfach daher, daß es etwas gab, das stärker war! Also gibt es scheinbar doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Woher ich dies alles so genau weiß? Man darf es mir glauben, aus trauriger Erfahrung! Und noch etwas kann ich Ihnen guten Gewissens versichern: Niemals habe ich mich «gehen lassen», nicht

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