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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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viel zu viel durchgehen ließe. Und noch etwas allen Ernstes: Ein Kind braucht kein Kino und keinen Plattenspieler, aber es braucht etwas Liebe und Verständnis. Und allein Verständnis, so leid es mir tut, war nie, niemals da.
    «An anderen geht die gleiche Kindheit, wie ich sie hatte», schreiben Sie, «spurlos vorüber.» Dem kann ich nicht zustimmen. Erstens glaube ich nicht, daß noch irgend jemand «genau so» wie ich aufgewachsen ist, das halte ich für schier unmöglich,wenn ich alles zusammennehme. Und zweitens brauchen wir (ich bitte jetzt schon um Verzeihung) uns nur meinen Vater anzusehen. Ich habe ihn sehr gern, bestimmt, doch gerade darum hat mir manches so weh getan, schon als Kind. Was ist das für ein Mann, der zwar «hart im Leben steht», gut, aber fast kein gutes Wort hat für sein Kind und auch für sonst keinen Menschen? Man kann keinen Besuch einladen, weil er ewig über Frau und Kind herzieht, man kann nirgendwo mit ihm hingehen, weil er immer sooo ein Gesicht macht und jede heitere Stimmung der anderen ihm auf den Magen zu schlagen scheint? Der mit Vorliebe an Geburts- und Feiertagen Streit beginnt? Der am Heiligabend alles verdirbt und die Geschenke nicht anschaut und noch nicht einmal auspackt, die sein Kind ihm gekauft hat? Dafür gibt es für mich keine Erklärung, und das kann nicht allein Schuld von seiner Mutter sein. Das ist nicht normal, und ich bin der Ansicht, daß seine Jugend auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen ist!
    ***
     
     
    28.   3.   1967
     
    In Köln hat mich ein, sogar zwei Gutachter [Dr.   Paul Bresser und Prof.   Werner Scheid] untersucht. Wir haben uns persönlich sehr gut verstanden (auch heute noch!), doch der Gutachter, der meistens bei mir war, sagte in Köln schon zu mir, daß er noch gar nicht recht wisse, wie mir dann zu helfen sei. Bald danach wurde eine elektrische Hirnstrommessung vorgenommen, mit dem Ergebnis «organisch völlig normal». [Gutachter im zweiten Prozeß sollten das später bestreiten.] Am letzten Tag meines Aufenthaltes in Köln fragte ich den Gutachter, was er von einer Kastration halte. «Gar nichts!», sagte er, «und zwar darum, weil die Beweggründe, die Sie zu den Taten getrieben haben, sozusagen einzig sind.» . (Zur Erläuterung: Trieb ist noch lange nicht gleich Trieb!) Dann fragte er mich, was ich vom Jugendgefängnis halten würde. Ich wußte es noch nicht. «In einer Anstalt kann ich mir Sienicht vorstellen», sagte er und meinte außerdem, daß ich da so gehalten würde, daß ich dann nur vollkommen eingehen würde.
    Nun, da hatte ich es erst einmal. Dann, nachts, kam mir (wie ich dachte) die Erleuchtung, daß ich es nur im Jugendgefängnis schaffen könnte, einen neuen Anfang zu machen. Denn, so dachte ich in meiner Dummheit: «Um das Übel auszumerzen, muß man mit dem Übel leben!» Denn im Jugendgefängnis sind die meisten jungen Menschen zwischen vierzehn und achtzehn Jahre alt. Natürlich wäre das ein gewisses Risiko, aber letzten Endes werden die Leute fürs Aufpassen bezahlt. Außerdem gibt es dort für nachts auch nur Einzelzellen. Ich dachte, mit der Zeit und mit den Jahren mußt du es schaffen, wirst es auch vielleicht. Und wenn der Anfang auch sehr schwer wäre, so dachte ich (da die Veranlagung sich todsicher bemerkbar machen würde), so glaubte ich doch daran, eventuell durch Liebe den unbewußten Haß zu überwinden. (Sicher, heute ist er nicht mehr unbewußt, doch hat er sich in Form des Triebes festgefressen.) So dumm dachte ich: Ich wollte dort helfen, wo ich könnte, ich glaube, es hätte mir sogar Freude gemacht, da das Helfen dort leichter ist als draußen, denn im Gefängnis sind die Menschen dankbarer als draußen. Und Gelegenheiten, da ist an solchem Ort wirklich kein Mangel. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und dem Herrn Dr. das alles geschrieben. Und bekam auch Antwort: «Ihren Wunsch nach menschlicher Hilfe kann ich nur zu gut verstehen. Ich weiß nur nicht, wie ich diesem Wunsch gerecht werden soll!»
    Der Rest ist wohl nun nur noch Schweigen.
    ***
    Etwa Mitte Juli 1967 – aus der Geborgenheit des Gefängnisses und vielleicht zum erstenmal in seinem Leben – hat es Jürgen, wenn auch nur schriftlich, gewagt, seinen Eltern Vorwürfe zu machen.
     
    Ihr hättet mich nie von den anderen Kindern absperren dürfen, so bin ich in der Schule nur ein feiger Hund gewesen. Ihr hättet michnie zu diesen Sadisten im Schwarzrock schicken dürfen, und nachdem ich ausgerissen war, weil der

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