Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
weitaus nicht immer! Zum Beispiel im Fall Axel O. usw., da habe ich, soweit ich weiß, nie onaniert. Wahrscheinlich habe ich die Gedankenverbindung, die für Sie und alle Anderen selbstverständlich ist, während dieser ganzen Jahre nicht voll begriffen, oder oft in entscheidenden Momenten einfach vergessen, nämlich Erregung – also Onanieren = Schluß.
Sicher, daß es zu Hause im Bett, wenn ich allein war, so [ein Pfeil verbindet «so» mit «Onanieren»] war, das wußte ich. Aber daß es bei den Verbrechen auch so sein könnte, darüber habe ich nie ernstlich nachgedacht. Dazu kam, daß für meinen Trieb die sexuelle Befriedigung durch Sadismus weitaus «schöner» war, weitaus erregender war, als etwa Onanieren. Infolgedessen hat das Onanieren eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle gespielt in dem eigentlichen Geschehen.
Daher kam es auch, daß ich, wenn ich jemanden verfolgte oder gar hatte, und ihn beobachtete, an den Sadismus, ans Quälen vor allem, dachte, und, obwohl ich durchaus ein «steifes Glied», wie man so sagt, hatte, kaum ans Onanieren dachte, oder jedenfalls weit weniger.
Dazu kommt noch, daß es völlig lächerlich ist, anzunehmen, die sexuelle sadistische Lust sei, ist erst mal onaniert, ebenfalls vorbei. Ich halte das, weil ich nun mal Erfahrung, leider, darin habe, für eine oberflächliche, kindliche, ja kindische Annahme!
Wenn Sie meine infantile Meinung dazu hören wollen:
Es ist ja auch selbstverständlich, daß Sadismus (meiner Ansicht nach nichts anderes als verdrängte Sexualität) viel länger anhält, somit auch die «Lust», als etwa der vergleichsweise läppische Drang zum Onanieren. Denn ist es nicht ein Unterschied, ob Sie eine Badewanne voll Wasser laufen lassen (Onanieren) oder eine ganze Talsperre (Sadismus)? Weil ja alles aufgestaut ist, der Drang zum Onanieren, aber auch der Drang zur Sexualität, die aber keinen normalen Weg fand! Nur, was würde wie lange aufgestaut:
Onanieren: Tagelang aufgestaute Sexualität.
Sadismus: Jahrelang aufgestaute Sexualität (!).
Meine Frage: Welcher Trieb ist stärker, welcher ist leichter zu bändigen? Und ich habe es bei den Taten ja auch zu spüren bekommen. Ich habe ja verschiedentlich onaniert, aber wer nun meint, na ja, dann wäre ich ja «befriedigt» gewesen, der irrt sich gewaltig. Nichts, aber auch gar nichts, hat es bei den Taten geholfen, wo der Sadismus die Hauptrolle spielte. Für mich war das Onanieren ja schließlich (im Bett) in diesen Fällen beim Fantasieren nur eine Not-Ersatzhandlung.
***
[Mit journalistischer Ausdauer versuchte ich immer noch die Lücken in Jürgens Angaben zu füllen. Er datierte den folgenden Brief «Januar 70», aber erst am 28. Februar ging er auf die Post – wahrscheinlich, weil die Kammer ihn zurückhielt. Seine psychogenen Störungen schienen kein Ende zu nehmen.]
… Gerade bekam ich Ihren lieben Brief vom 8. 1. 70, den ich sofort beantworten möchte, sofern mein verdammter Kopf mich dazu kommen läßt. Ich weiß nicht, was das ist, ich komme mir in der letzten Zeit wie ein Jammerlappen vor, wie eine kränkelndealte Jungfer. Aber nun habe ich schon bald eine Woche lang ununterbrochen wilde Kopfschmerzen, und ich nehme sehr oft Kopfschmerztabletten. Wie sollte es auch anders gehen, nur kommt man sich dann immer halb betäubt vor. Wenn ich die Tabletten nehme, steht immer der Sanitäter dabei und paßt auf wie ein Luchs. «Sie haben mich einmal auf’s Kreuz gelegt!», sagt er immer, und ich verstehe ihn. Er meint wohl die Sache [den Selbstmordversuch] Anfang 1969.
Meine Eltern und Herr Möller haben sich innerlich schon sehr lange entzweit, praktisch seit kurz nach dem ersten Prozeß, wo es hieß: «Kommen Sie weiter Jürgen besuchen, er braucht Sie als Mensch, für die anderen Dinge haben wir ja Herrn Bossi.» Meine Eltern haben Herrn Möller das «Lebenslänglich» nicht verziehen. Diese Ansichten waren für Herrn Möller natürlich ein ziemlicher Schock. Aber wir beide haben uns ausgesprochen, und wir haben uns geeinigt, daß wir uns in keinem Falle trennen werden, und daß meine Eltern in dieser Beziehung völlig in den Hintergrund treten werden, wenn es z. B. zwischen ihnen und Herrn Möller zum völligen Bruch kommt.
[Auf meine Bitte hatte Jürgen eine Liste derjenigen Menschen zusammengestellt, die eine wesentliche Rolle in seinem Leben bis zu seiner Verhaftung gespielt hatten. Ich konnte kaum glauben, daß es so wenige waren.]
Ja, die
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