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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Kirche darf, haben meine Eltern und ich damals, als ich hier nach Hamborn kam, den Oberpfarrer gebeten, mit mir allein ab und zu die Messe zu feiern.
    Ich habe sehr freudig zugesagt, denn das hieß ja, daß ich Meßdiener wäre, wie früher, viel früher!
     
    Ab der siebenten Klasse bin ich Meßdiener gewesen. Ich war damals doch noch recht religiös. Damals waren die Fragen und Antworten alle auf Lateinisch, und ich habe sie gebüffelt und gebüffelt. Etliches davon habe ich bis heute behalten. Jeder katholische Priester muß ja jeden Tag eine Messe lesen. In Marienhausen haben sie das in kleinen Kapellen gemacht, die um die Kirche rum waren. Das machten sie, mit ihren Meßdienern, als die anderen Jungen noch schliefen. Der Priester war mit seinem Meßdiener ganz allein.
    Ich bin manchmal von dem PaPü rausgeholt worden. Ungefähr eine Stunde schliefen die Anderen noch. Ich bin mit PaPü runtergegangen, dann in diese kleine Kapelle rein, und da hat er seine Messe zelebriert. Dann in die richtige Kirche rein, Meßgewand ausgezogen, dann oben, auf die Empore, wo die Orgel stand. PaPü war auch Organist. Bei seiner Messe war er unwahrscheinlich schnell. Er war überhaupt ein unwahrscheinlich robuster, grobschlächtiger Kerl, ungefähr ein Zweimetermann, ein richtiger Bulle. Ich habe mich gewundert, daß er Priester war. Er hat seine Messe so richtig hingehaun. Das hat mich immer irgendwie fasziniert, wie er seine Messe so fast brutal schnell las. Die anderen Priester brauchten eine Stunde, aber in einer Viertelstunde war PaPü schon fertig.
    Deswegen haben wir immer eine Zeitlang allein gesessen und auf die anderen Meßdiener gewartet, zehn oder fünfzehn Minuten, in der leeren Kirche auf der Empore. Etwa vier Meßdiener saßen dann neben ihm. Er hatte eine Gewohnheit, immer unsere Hände zu nehmen, einem nach dem anderen, und die Gelenke zu knacken.
    Dann kamen die anderen Jungs in die Kirche, und die richtigeMorgenmesse ging los. Ich bin unwahrscheinlich gern Meßdiener gewesen. Das Mystische, das Latein aufsagen – wo ich doch selber, um ehrlich zu sein, es meistens gar nicht verstand, weil ich die Übersetzung nicht im Kopf hatte.
    Man kann Kindern schon mit Schlägen einiges einpauken, das ist klar. Das bleibt auch drin. Es wird heute oft bestritten, aber wenn es unter richtigen Umständen vonstatten geht, wenn man weiß, daß man es behalten muß, dann bleibt es auch drin, und vieles ist auch bis heute drin geblieben.
     
    Nun, wir haben es nun hier gemacht, und ich darf sagen, daß es so schön lange nicht mehr gewesen ist!! Obwohl ich ein schlechtes Gewissen hatte, nachträglich. Zwar bin ich ein gläubiger Christ, aber zu derartiger Freude war dies nicht der Anlaß. Der Anlaß zu dieser großen Freude war die Tatsache, daß ich es so, durch diese äußeren Umstände, Altar, Tabernakel, Priester, Meßgewand, Kirche, Kirchenbänke, Geruch der Kirche (alle katholische Kirchen riechen gleich) usw., ganz leicht und einfach fertigbrachte, mich räumlich, und, vor allem, zeitlich, völlig zu verändern. Das habe ich ganz instinktiv gemacht, ohne vorher viel Gedanken daran zu verschwenden. Genau weiß ich es nicht mehr, aber für Minuten wenigstens war ich regelrecht überzeugt, daß ich zwölf oder dreizehn Jahre alt sei, mein rot-weißes Meßdiener-Kleid anhabe, es ist Feiertag, die große feierliche Messe mit vielen Lichtern und Kerzen, ich knie auf der linken Seite, rechts neben mir, ein Stück entfernt, mein «Kollege». Wir haben die goldenen Schellen vor uns liegen, die wir an entsprechender Stelle schlagen. Wir sind aber noch am Anfang, bei der lateinischen Zwiesprache zwischen dem Priester und den Ministranten. Welcher Pater ist es? Ich weiß nicht, ich sehe nur sein farbiges Gewand, von hinten. Er beginnt: Priester: Et introibo ad altare dei
    Ministranten: Ad deum, qui laetificat iuventutem meam
    P: Adjutorium nostrum in nomine Domini
    M: Qui fecit caelum et terram   …
    Dann das Confiteor, von Priester und Meßdienern aufgesagt,das «Schuldbekenntnis», wir schlagen uns dreimal an die Brust und senken den Kopf: «Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa   …» Nun das Wechselgebet, «Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison   …» Nun ist der Priester am Altar, das «Gloria», oben auf der Empore singt unser Chor, «Qui tollis peccata mundi, miserere nobis, Qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram, Quoniam tu solus sanctus, Tu solus Dominus, Tu solus Altissimus   …» Nun die

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