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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Glocken schlagen. Jetzt? Ich lerne das nie richtig, na ist nicht so schlimm, wenn der andere Meßdiener läutet, aha   … jetzt!! – ziehe ich einfach mit. Jetzt das Credo, das «Glaubensbekenntnis»:
    «…   et conglorificatur, qui locutus est per prophetas   …» Mein «Kollege» grinst, bei ‹locutus› versteht er immer «Lokus», genau wie ich, was in der Umgangssprache etwa Sch   … haus heißt. Ja, wenn ich mit Euch so reden könnte, wie ich es mir wünsche, wenn Ihr mich auch so gern hättet wie ich Euch, aber mit Euch kann man ja nicht reden, «Buben, die müssen sich schlagen, müssen was Tolles vertragen!   …» Nun, hier seid ihr nett und friedlich, darum bin ich auch so gerne hier oben, ich kann Euch anschauen, kann mir wünschen, morgen kommt einer von Euch und fragt: «Spielst Du mit?», ja morgen schon   … «Suscypiat», Ganz tief beugen, fast bis zum Teppich, «Suscypiat Dominus sacrificium de manibus tuis ad laudem et   …» verflixt, ich weiß nicht weiter, bei jeder Messe, bei jedem ‹Suscypiat› passiert mir das, kann man nichts machen, einfach frech brummen, etwas vor sich hin brummen, und dann «ecclesiae suae sanctae» am Schluß, so, prima. Jetzt das Buch, nehmen, runter, in der Mitte vor dem Altar Kniebeuge machen, an der anderen Seite rauf und schräg hinstellen. Mein Gott ist das Ding schwer, eines Tages werde ich mitsamt dem Ding mal fürchterlich auf die Nase fallen   … Wandlung   – Kommunion – nun singen sie alle, «Kommt alle, die auf Erden, von Not bedränget werden, so spricht Dein eigner Mund, ich will Euch wiedergeben, mit meinem Blut das Leben, das ist der Neue ew’ge Bund   …» Bund, verbunden, na ich weiß nicht, mit Euch, Kameraden, bin ich jedenfalls nicht verbunden,zumindest Ihr nicht mit mir, etwas einseitig, meint Ihr nicht? Sonst wendet Ihr mir nur stets den Rücken zu, aber wenn ich Ministrant bin, müßt Ihr auch mich mal anschauen, wenn Ihr Euch auch nichts dabei denkt   … Der Priester geht herunter zur Kommunionsbank, vor der Bank mit dem langen weißen Spitzendeckchen kniet schon die ganze erste Reihe unserer Jungen. Wo ist die Schale, ich muß sie unter den Kelch mit den Hostien halten, während der Pater sie austeilt, da ist sie ja, die Schale, Gold, ob sie echt ist, na egal, nun muß ich mit dem Pater die Runde machen, an der ganzen Reihe entlang, wenn der Kelch naht, hebt der Nächste leicht den Kopf, schließt die Augen und schiebt leicht die Zunge heraus, darauf nun die Hostie, schön die Schale drunterhalten, so, nun der Nächste   …
    Verstehen Sie, Mr.   Moor, darum hatte ich bei den Messen mit unserem Oberpfarrer vom Gefängnis stets ein schlechtes Gewissen. Weil ich mich weniger wegen der Messe als solcher freute, sondern weil ich, bin ich Meßdiener, unweigerlich, mit Wunsch und Willen, in eine andere Zeit verschwinde, wie ich sie mir wünsche. Ich sehe mich wieder als Jungen am Altar und habe die gleichen Gedanken, die gleichen Wünsche wie damals: Junge sein, Junge bleiben, viele echte Freunde haben, ein «kleiner Freund aller Welt», wie Kipling es genannt hat; ich habe damals am Altar so oft daran gedacht, wahrscheinlich sah ich mich deswegen bei der Messe hier, stets als Meßdiener.
    Auch heute noch Junge sein? Aber ja, nur das ist mein Wunsch. Wie lange Junge sein? Bleiben wir doch einfach beim Latein: «Per omnia saecula saeculorum   …»
    ***
    [Diesen Brief hat Jürgen auf einem karierten Blättchen aus einem Schülerheft geschrieben; oben zwei Kästchen – im linken «Jürgen Bartsch, 134», im rechten «Rechnen, 7.   Klasse».]
     
     
    Duisburg-Hamborn, April 1970
     
    … Seien Sie bitte nicht erstaunt, daß Sie einen so seltsamen Brief bekommen. Ich habe absichtlich die Form eines Original-Schul-Blattes gebraucht, so können Sie genau sehen, wie die damals aussahen und auszusehen hatten in «Marienhausen». So 20   –   30   Stück, Rechen und auch solche Schreib-Blätter, mußten wir stets vorrätig haben. Fertige wurden in Schnellhefter eingeheftet, da wo die Löcher sind. Oben im linken Kästchen sehen Sie meine Nummer. Jeder hatte da ja eine Nummer, mit der er dann angeredet wurde, wenn er was falsch gemacht hatte. Meine Nummer war 134.   Und so stimmte es dann noch genauer, als die Polizeiwärter wußten, wenn einer oft von unten aus dem Wachzimmer rief «Hundertvierunddreiß’sch zur Vernehmung!!» und oben der andere die Zelle aufmachte, und sich über’s Geländer beugte und hinunterrief:

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