Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
«Hundertvierunddreiß’sch kommt!!»
Seien Sie vielmals gegrüßt, alter Freund, von Ihrem alten Freund
Jürgen Bartsch134
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Duisburg-Hamborn, März 1970
Sie schrieben von «Humor», und das ist eines meiner Lieblingsthemen, denn ich habe im Grunde viel Humor, ich liebe ihn. Allerdings ist der mündliche, sprechende Humor mir ziemlich fremd, weil, nun zum Beispiel mein Leben, ihm keinen Raum geben konnte.
Dafür schwärme ich für den geschriebenen Humor und auch für Ersatz-Humor. Also damit meine ich, wenn man sich etwa von der Schallplatte oder vom Tonband oder Radio etwas «vorlachen» läßt und dann selber «nach-lacht». Das mag nicht das Ideale sein, aber man muß mit dem leben, was man mitbekommen hat und was einem möglich gemacht wurde.
So schreibe ich meinen Freunden (meinen Eltern keinesfalls,mein Vater zum Beispiel würde das als ‹unverzeihliche Albernheit› ansehen) gern einen schönen Witz, der meiner Ansicht nach nicht fade, aber auch nicht zu intellektuell sein sollte. Etwa so: Zwei Erbsen gehen spazieren. Sagt die eine, «Paß auf, da vorn ist ’ne Treppe!» Drauf die Andere: «Was sagst Du, wo ist eine Treppe – pe – pe – pe – pe?»
Oder: Zwei Milchflaschen stehen vor der Haustür. Sagt die eine ganz höflich zur anderen: «Guten Morgen!» Und die Andere: «Lassen Sie mich in Ruhe, ich bin sauer!!»
Oder: Goebbels kommt in den Himmel, und Petrus weist ihm eine Wolke an. Goebbels macht es sich bequem und sieht neben sich eine andere Wolke, auf der er den Götz von Berlichingen erkennt. «Hallo!», ruft Goebbels hinüber, «gestatten, Joseph Goebbels, der Mann mit der spitzen Zunge!» «Was?», ruft der Götz zurück, «spitze Zunge? – Und trotzdem!!!»
Was halten Sie vom schwarzen Humor, dear Paul? Ich persönlich bin der Ansicht, daß es bei dieser Witz-Gattung erträgliche, gute, aber auch schlicht unerträgliche Exemplare gibt. Ein nettes Exemplar finde ich folgendes: Zwei alte Eheleute gehen spazieren. Sie: «Ach, lieber Mann, wenn ich einmal tot bin, wie sollst Du dann nur weiterleben können?» Er: «Ach, liebe Frau, wie soll ich nur weiterleben, wenn Du nicht tot bist …?»
So, und damit muß für heute schon wieder schließen Ihr alter Freund
Jürgen Bartsch134
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Duisburg-Hamborn, März 1970
… Einen neuen Alptraum habe ich mir seit ein paar Wochen angeschafft. Ich bin im Bett und plötzlich kriechen so große Maikäfer (manchmal sind es auch dicke Spinnen) an mir hoch. Ich, aus dem Bett, laufe durch die Wohnung und trete die Biester kaputt. Auch mit den Händen zerdrücke ich sie, das ist verdammt eklig, aber aus allen Ecken kommen neue gekrochen, auf mich zuund an mir hoch, und, was das Schlimmste ist, die werden immer größer. Und wenn sie dann so groß sind, daß sie das Maul aufreißen, um mich zu fressen, wache ich auf. Das ist ein ganz verdammter Mist.
Seien Sie für heute vielmals gegrüßt von Ihrem oft an Sie denkenden
Jürgen
Bartsch134
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[Bereits elf Monate vor Beginn des Revisionsprozesses unter dem Düsseldorfer Landgerichtsdirektor Kurt Fischer nahm Jürgen an dessen Vorbereitung lebhaft Anteil. Sein Bericht über das kleine, tragikomische Drama Giese ganz am Anfang der ersten Verhandlung liest sich wie das Gerichtsprotokoll; nur staunen – und trauern – kann man über die Naivität der Justizbehörden in der Frage einer psychiatrischen Untersuchung, aber eben diese Naivität allein machte den Revisionsprozeß möglich.]
Duisburg-Hamborn, 22. 4. 1970
Lieber Herr Bossi!
Lieber Herr Möller!
… Die Nebenklage behauptet, der Prof. Dr. Giese habe für die Belange der sicheren Verwahrung kein Interesse gezeigt und stets auf «seinem Institut [für Sexualforschung] in Hamburg bestanden». Dies ist eine grobe Unwahrheit. Der Prof. Dr. Dr. Giese hat nicht auf «seinem Institut» bestanden, weil das «nötig sei». Er hat überhaupt nicht auf Hamburg bestanden!
Der Vorsitzende [des Wuppertaler Gerichts]: «Könnten Sie das hier machen, Herr Professor, Sie wissen ja, viel Zeit steht nicht zur Verfügung, wir können den Prozeß schließlich nicht zu lange unterbrechen …»
Prof. Dr. Giese: «Ich glaube, daß es das Geeignetste wäre, den Angeklagten für die endgültige Begutachtung nach Hamburg in die dortige Anstalt, die eher Klinik-Charakter hat, zu verlegen. Dort sind meiner Ansicht nach die spezialisiertesten Fachleute.Es kommt aber, wie gesagt, viel auf die
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