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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Pappkoffer, ein Riesending. Zusammengelegt könnte man vielleicht sogar mich reinkriegen. Das Ding fiel überall auf. Ich habe aufgepaßt, daß keiner kam, und dann habe ich den Koffer rausgeholt. Dann in die Telefonzelle und ein anderes Taxi bestellt. Mit dem Koffer bin ich immer nur nach Hattingen gefahren, sonst wäre ich mit der Zeit nicht hingekommen.Hattingen lag ja nur etwa zehn Minuten von der Höhle weg, ich konnte also gegen 17   Uhr 10 da sein.
    In Hattingen bin ich ausgestiegen und auf Suche gegangen. Bis sechs oder halb sieben habe ich gesucht, aber das war eigentlich schon zu spät. Die Jungs gingen alle nach Hause.
    In einer Anoraktasche hatte ich die Ätherflasche und Wattebausch, in der anderen Tasche Fesseln und Kerzen. Ein Messer hatte ich in der Höhle. Ich habe geguckt, ob man ein Kind sah, und in den seltensten Fällen sah ich eins. Wenn ich eins sah, dann bin ich hinterhergetigert. Wenn ich meinte, daß ein Abschnitt kam, wo es besonders dunkel war, oder wo wir besonders allein waren, habe ich den Koffer in eine Ecke gestellt. Ich konnte mich ja nicht zu weit von dem Koffer entfernen. Heute finde ich das selber blödsinnig, aber ich habe es wenigstens versucht. Ich habe den Koffer hingestellt und bin dann ganz schnell hinterhergelaufen. Wenn der Junge zu weit ging, sagen wir mehr als hundert Meter, war natürlich alles aus. Da oben, wo ich ihn betäubt hätte, hätte ich ihn ja liegen lassen müssen. In der Praxis konnte das natürlich nie hinkommen, aber ich habe es zwischen zwanzig und dreißig Mal versucht, was wollen Sie machen   …
    Einmal mit dem Koffer habe ich sogar wieder einen Jungen gesehen, der sich tatsächlich verlaufen hatte. Das wäre natürlich das Opfer gewesen. Da kam eine liebe alte Frau: «Ach, unser Kleiner, was hat er denn? Wo will er denn hin?» Da war natürlich auch das aus.
     
    Sonntags alle drei Wochen, bestenfalls von etwa 15   Uhr bis 19   Uhr 30, haben meine Eltern darauf bestanden, daß ich immer mit ihnen entweder zu meiner Oma fuhr oder ins Hotel zum Kaffeetrinken. Eine Ausnahme war der Muttertag, die vierte Tat. Wenn wirklich mal eine Ausnahme war, dann ist wirklich etwas geschehen. Es ist komisch, aber so ist es meistens.
    Bei meiner Oma haben wir da rumgesessen. Mein Vater hat sich die Brille aufgesetzt und die «Bild-Zeitung» von der ganzen Woche gelesen, weil er in der Woche nicht dazu kam. MeineMutter hat sich an den Tisch gesetzt und hat sich mit meiner Oma unterhalten. Ich habe seitlich vorn auf dem Bett gelegen und Löcher in die Wand oder in die Decke gestarrt. Ich hatte auch natürlich nichts zu sagen. Bei Verwandten war nur meine Mutter am Reden, sonst hatte sowieso niemand mehr etwas zu sagen.
    Montags hatte ich von 17 bis etwa 19   Uhr 30 frei. Dienstags war gar keine Möglichkeit, da war ich bis abends im Geschäft. Mittwochs konnte ich zwischen 15 und 16   Uhr vom Geschäft weg. Ich sollte mich dann nach zweieinhalb Stunden «Busfahrt» zu Hause melden, dann durfte ich offiziell noch in der Siedlung ein bißchen raus. Mittwochs blieb meine Mutter zu Hause. Ich mußte ja essen, sonst hätte ich ja niemals raus gedurft, das war nicht drin. Freitags war Berufsschule bis 13   Uhr 30.   Damals hatte ich noch kein Geld für ein Taxi und mußte noch wirklich mit dem Bus nach Hause fahren, so daß ich nur eine viertel oder halbe Stunde zum Suchen hatte. Samstags hatte ich den Nachmittag. Wenn es zufällig geklappt hätte, hätte ich mich an die Pünktlichkeit nicht so daran halten müssen, dann und nur dann konnte ich mit Ausreden die Zeit überziehen. Bevor diese ganzen Dinge geschahen, bin ich doch recht lieb gewesen und habe selten Gelegenheit gehabt, Ausreden zu brauchen. In den Jahren der Taten war das natürlich ein Thema bei uns zu Hause, «Der Jürgen schwindelt!» – aber vorher, als kleinerer Junge, nicht.
    Es kam auch nicht oft vor, daß ich die Zeit überzog. Im allgemeinen war ich sehr brav, trotz allem. Aber ab und zu kam es natürlich mal vor, und dann habe ich großen Ärger gekriegt. Ich habe gesagt, ich sei im Kino gewesen oder der Bus sei kaputt gewesen oder so etwas. Sie haben es selten geglaubt, aber sie konnten es an sich auch selten widerlegen. Es gab eine Mißstimmung, das ist klar, aber die Mißstimmung konnte nicht viel schlimmer sein, als sie sowieso war. Ob sie nun neunundneunzigmal brüllen oder hundert, das berührt den Jungen dann weniger.
    Wir haben keinerlei Verhältnis zueinander gehabt, alle dreinicht. Da

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