Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
dann war es natürlich aus.
Dann bin ich zum zweiten oder dritten Mal an der Höhle vorbeigefahren, und die Straße dort war endlich leer. Ich habe den Jungen da reingebracht. Ich war selber fix und fertig.
Das war Mitte August. Dann kam eine Pause bis zum nächsten Mal, einmal weil ich einige Wochen danach den Führerschein abgenommen bekam. Schließlich kam es darauf an, daß es irgendwann weitergehen müßte. Das war immer mein hauptsächlicher Gedanke. Und wenn es noch viele Jahre weitergehen kann, dann muß man natürlich mal ein paar Wochen Pause machen können.Diese Sache ist ja nicht so, als ob das eine Art unbedingter, unmittelbarer Zwang sei. Das ist natürlich völlig falsch. Aber es ist auch völlig falsch, zu sagen, daß es überhaupt kein Zwang sei. Das ist genau so falsch! Ein Zwang ist es trotzdem, nur verschieden stark kann er sein. Das ist etwas, womit man sich fast Tag für Tag beschäftigt und davon bedrängt fühlt. Ein Drang ist es wirklich. Es ist nicht, als wenn man sagt, also jetzt hast du gerade nichts zu tun, jetzt gehst du mal um die nächste Ecke und bringst mal einen Menschen um. So einfach ist das nicht. Das ist eben so ein Gefühl, das einen dahin treibt, und auf lange Sicht kannst du dieses Gefühl nicht sein lassen.
Ich spürte ein Art Gefühl des Überganges vom normalen Zustand in einen nicht normalen Zustand. Wenn ich in diese Situation kam, habe ich gemerkt, daß dieser Trieb sich eben meldete. Daß sich was tut, daß es wieder kommt, das merkt man doch. Das ist eine gewisse Übergangsphase, wo man sich wirklich echt bedrängt fühlt, weil man dann Minuten hat, wo man versucht, das abzuwehren. Das war, als wenn ich eine lauwarme Suppe über mich hätte kommen lassen. Emotional habe ich versucht, das abzuwehren, aber das war doch ziemlich aussichtslos.
In diesen Wochen, wahrscheinlich gerade weil ich so einen ziemlichen moralischen Kater hatte, fing ich an, regelrecht in größerer Form zu saufen. Ich habe zwei Schnapsflaschen gekauft, eine im Auto versteckt und eine in meinem Bücherschrank, so daß ich immer eine zu trinken hätte. Ich war immer ein klein wenig benebelt. Wenn noch ein klein wenig Gewissen dabei ist, ist das recht schwer zu ertragen.
Sechs oder acht Wochen später bin ich dann den Führerschein wegen dieser Sauferei losgewesen. Dann konnte ich nicht mehr rumfahren, und weil mir diese Möglichkeit genommen war, war ich plötzlich ganz besonders scharf. Das hat meinem Trieb eher Auftrieb gegeben. Ich konnte mich aber schlecht hinstellen und sagen: «Wie könnt ihr nur, ich wollte noch so gerne …»
Dann ist mir ein Plan eingefallen, eine hirnverbrannte Idee, dieaus lauter Verzweiflung geboren ist. Heute muß ich aber sagen, daß sie mir doch damals, in dieser Verzweiflung, sehr real vorkam. Ich wollte mir einen großen Schrankkoffer kaufen, Äther besorgen, und dann mit einem Taxi hinter den Jungen herfahren. In einer stillen Gasse wollte ich sie betäuben, dann in den Koffer rein, den Koffer in ein Taxi rein, dann an der Höhle ausladen und hoffen und beten, daß der Junge da noch betäubt wäre, und dann eben rein damit. Äther ist schwer zu bekommen, aber ich hatte meine Apotheke, wo ich ab und zu für Zaubertricks Chemikalien geholt hatte, und deswegen haben sie sich dabei am Anfang nichts gedacht. Aber nach dem dritten oder vierten Mal, als ich hinkam, hieß es schon: «Wen wollen Sie denn damit betäuben?» Wenn ich einem Jungen hinterherlief, mußte ich mich mal in eine Ecke stellen und das Ding schon naß machen, und in der Zeit, wo ich hinter dem Jungen herlief, verdunstete schon die Hälfte. Es war an sich völlig blödsinnig, aber oft, sehr oft ist es bis zur unmittelbaren Vorbereitung gekommen. Ich habe die Fahrten immer direkt vom Geschäft aus gemacht. Die große Schwierigkeit war, daß ich den Koffer in der Höhle verstecken mußte.
Ich habe das Geschäft samstags gegen vier Uhr verlassen. Meine Eltern haben angenommen, ich fahre nach Hause. Sie dachten, ich führe mit Straßenbahn oder Bus. Sie haben nicht gewußt, ich fuhr mit einem Taxi, natürlich haben sie auch nicht gewußt, wieviel ich jede Woche aus der Kasse klaute, um die Taxifahrerei zu bezahlen. Mit dem Bus hätte die Fahrt etwa zweieinhalb Stunden gedauert, vielleicht drei. Mittlerweile hatte ich meine verschiedenen Taxifirmen. Vom Geschäft bis zur Höhle mit einem Taxi brauchte ich fünfunddreißig Minuten. Das kostete ungefähr zwanzig Mark.
In der Höhle war der
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