Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
auch. (Meine alte Medizin kann ich hier weiterbekommen, auch das Cyproteron.) Über Mittag geht es in die Freistunde. Unser Haus ist von einem hohen Zaun umgeben, auch von Mauern.
Abends gehe ich mit fünf Kameraden in einen Schlafsaal. Das erste Mal Schlafsaal seit Marienhausen. Aber es macht mir richtig Spaß. Irgendwelche Schwierigkeiten mit den Anderen (meine Abteilung ist etwa sechzehn Leute) habe ich nie gehabt, von Anfang an nicht. Mit den meisten verstehe ich mich prima, und einen ausgesprochenen Gegner habe ich überhaupt nicht. In dieser Beziehung habe ich ja im letzten Jahr nur gute Erfahrungen gemacht. Vielleicht liegt es wirklich auch an einem selbst. Aber ich will nichts berufen.
Unser Doktor, er heißt Teuber, hat sehr viel zu tun. Er hat außerunserem noch ein Haus, und Chirurg ist er außerdem. Als ich ankam, letzten Mittwoch, hatte ich ein kurzes Gespräch mit ihm. Seine ruhige Art imponierte mir. Gestern, am Montag, ließ er mich kommen. Er machte mir die erfreuliche Mitteilung, daß man sogar in dieser Abteilung schon anfangen wird mit Gesprächs-Therapie. Dr. Teuber selber und ein Psychologe werden es übernehmen. Etwa zweimal in der Woche wird die Behandlung stattfinden.
Für mich war es, wie gesagt, eine GROSSE FREUDE . Weißt Du, Paul, die ersten fünf Tage hörte ich ja nichts, und habe natürlich nachgedacht. Ich hatte etwas Angst, daß man mich eventuell nur «verwahren» wolle, und mich ansonsten aufgeben würde. Wäre es so gewesen, hätte ich mich auch selber aufgeben können (oder müssen). In den fünf Tagen habe ich natürlich viel gegrübelt. Aber ich habe wie stets gewartet, bis sich jemand meldete. Von mir aus hätte ich es nicht getan, weil ich es nur sehr schwer kann. Du kennst das ja, lieber Paul.
Aber wie es auch ist, was Dr. Teuber sagte, war sehr ermutigend. Ich weiß nicht, ob er es überhaupt weiß, wie gut es ist, daß man weiß, man ist nicht allein. Und ich bin fest überzeugt, daß ich positive Fortschritte machen werde. Wenn das wirklich so kommt, werde ich nicht in diesem Hause für ewig bleiben müssen. Aber vorher heißt es natürlich, klein anfangen und abwarten. Und arbeiten.
So, lieber alter Freund Paule, Du siehst, daß Dein Freund hat wieder neue Hoffnung geschöpft; drücke mir alle Daumen. Viele liebe Grüße von Deinem alten MINDREADER
Jürgen
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Eickelborn, 17. 11. 1972
Lieber alter Kumpel Paule!
Du fragst, ob meine Briefe hier auch zensiert werden. Aber ja. Von wem? Genau wie in Köln, vom zuständigen Haus-Arzt. Auch die eingehende Post natürlich. In meinem Fall ist es Dr. Teuber.Auch die Frage nach der Medizin will ich Dir beantworten. Außer dem Cyproteron bekam ich in Köln morgens und abends eine Kreislauftablette (Novadral) und abends Tropfen zum Schlafen (Megaphen-Artosil). Damit komme ich sehr gut zurecht, jedenfalls normalerweise. Darum bekomme ich es auch hier. Nur, als ich in Köln zusammengeklappt bin, gab es Mittel, die ich nicht kannte. Während der Schlafkur waren es nur Spritzen, wohl schon eher Narkotika.
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4771 Eickelborn, 14/12/72
… Es wäre wirklich sehr schön gewesen, wenn Du mich in dieser Woche (falls Du zum Internationalen Frühschoppen gegangen wärest) besucht hättest. Möglich wäre es bestimmt gewesen (Du fragst danach), unser Arzt Dr. Teuber hätte wohl nichts dagegen gehabt. Schließlich hast Du mich ja sogar im «Knast» besuchen dürfen. Einen Zeitpunkt möchtest Du wissen; da gibt es eigentlich keinen. Komme einfach, wann Du es kannst, und lasse Dir bei Deinem Schnapsbrenner-Freund in Lippstadt ein Bett im Keller aufstellen … und trink dort nicht soviel, eventuell kriegst Du es da ja umsonst.
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4771 Eickelborn, 22/12/72
… Zur Wiedergutmachungsphantasie. Das ist ein etwas schwieriges Kapitel, lieber Paul. Meine Gedanken in dieser Hinsicht richten sich nicht unbedingterweise nur auf Kinder (das wäre wohl auch falsch). Aber im Gefängnis und einer Abteilung wie hier ist das nicht so, wie Du es Dir eventuell vorstellst. In unserer Abteilung (derjenige, den ich Peter nannte, ist nicht auf unserer Abteilung) sind fast ausschließlich Leute, die aus dem Vollzug kommen. Geistig behindert sind sie eigentlich nicht, und körperlich auch nicht. Bis auf eine Ausnahme. Auch die Atmosphäre istnicht danach, sie ist eher latent aggressiv, gegenüber allem und jedem. Natürlich, viele sind innerlich trotzdem hilflos, aber um da helfen
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