Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
irgendwelche «Bosheiten» aus Patienten-Briefen per Zitat ins jährliche Gutachten zu übernehmen?), ich wiederhole es, und anderen [Umständen], können meine Briefe niemals, so lange ich hier bin, so wie diejenigen aus der JVA sein! Die Redaktion, mein bester Freund, bittet den besten Freund um Verständnis. Logisch, daß man bei einem Besuch etwas freier sein könnte.
Alle diese Dinge haben damit, mit der kleinen Resignation, zu tun, die Du mit Recht aus meinem letzten Brief mit Feingefühl herausgelesen hast. Diese Resignation ist nicht ganz unbegründet, nimmt man alle Umstände zusammen. Verstehst Du nicht, DASS ICH ES NUR SO NOCH SAGEN KANN? Ich weiß genau, daß ich Deine Freundschaft, Dich als Mensch, besitzen werde, solange, bis «einer von uns nicht mehr lebt». Ich zitiere DICH, und Du glaubst nicht, kannst nicht wissen, wie oft mir dieser Satz in den letzten Jahren, in den letzten Monaten, durch den Kopf gegangen ist …
Ja, Gisela. Ich verstehe nicht ganz Deine große Überraschung. Ich erzählte Dir doch in Briefen und beim Besuch von der fast vollkommenen Heilung meiner PHANTASIE. Die Gefahr [sic] einer normalen Reaktion wurde doch immer wahrscheinlicher. Den Briefverkehr mit Gisela, der Krankenschwester, habe ich auf Zureden von Dr. Goette damals eine Zeitlang unterbrochen. Ich konnte damals nicht glauben, daß es ein Mädchen gäbe, das mich liebt, und das all die Zeit auf mich warten könnte. Aber mit vielen lieben Grüßen und Karten brachte sie mich dazu, den Briefverkehr wieder aufzunehmen. Ich bin schließlich nicht aus Holz.
1000 Grüße, lieber Paul, von Deinem alten, besten Freund
Jürgen
***
[Jürgen schickte mir den folgenden zweiten Brief von seinem Essener Pfarrer; ich wußte noch nicht, daß Jürgen das hier erwähnteGeld spendiert hatte. Der Gottesdienst ging um Klaus Jung, Jürgens erstes, zehn Jahre altes Opfer; Jürgen hatte ihn elf Jahre vorher getötet. Ulrich war der zwölf Jahre alte Ulrich Kahlweiss, den Jürgen acht Jahre vorher getötet hatte.]
43 Essen I, den 30. März 1973
Dr. K. J. H.
Pfarrer an Pax Christi
43 Essen-Billebrinkhöhe
Lieber Jürgen!
Morgen halten wir (im Sonnabend und Sonntags-Gottesdienst) zum erstenmal das Gedächtnis: für Klaus. Ich lege die Fürbitten, in denen sein Name genannt ist, bei. Tun Sie mit …
Als erste Antwort auf meine Mitteilung, daß die Kinder an der Pax Christi Opferstätte eingeschrieben sind, kam ein Brief der Familie von Ulrich. Der Vater schreibt:
«Es ist mir ein Herzensbedürfnis, Ihnen im Namen meiner Familie für Ihr Schreiben zu danken. Erstmalig haben wir hierdurch vom Bestehen der Pax Christi Opferstätte erfahren. Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß die Opfer schnell vergessen sind.» . [Anmerkung des Pfarrers:] (Lieber Jürgen, nicht durch Sie.)
«Sie werden verstehen, daß es deshalb eine Überraschung für uns ist, in Ihnen eine Persönlichkeit kennen zu lernen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Opfern ein Gedächtnis zu setzen. Haben Sie herzlichen Dank dafür.
Wir nehmen Ihr freundliches Angebot, uns die Stätte zu zeigen, gerne an. Ich werde mir gestatten, Sie einige Tage vor unserem Besuch bei Ihnen anzurufen, um einen passenden Termin zu vereinbaren. Bis dahin verbleibe ich mit freundlichen Grüßen Ihr Otto Kahlweiß und Familie.»
Lieber Jürgen, haben Sie Geduld. Ich bin gewiß, daß irgendwann ein Wort der Vergebung fällt. Ich möchte ja Kontakt halten.
Daß die anderen Familien noch nicht schrieben! Soviel ichweiß, sind es einfache Leute. Es mag ihnen auch schwer fallen, sich zu äußern.
Aber sie werden von uns immer wieder Nachricht erhalten. D. h., die Familien. Eines Tages führt es sie doch hierhin.
Haben Sie einen Wunsch für Ostern? Schon wünsche ich Ihnen über den Weg nach Karfreitag einen glaubenden Hinaufstieg nach Ostern.
***
4771 EICKELBORN, 1/4/73
Laß mich heute Deinen letzten lieben Brief beantworten. Natürlich hat er mich wie jedesmal sehr gefreut. Du sagst, um wie immer in medias res zu gehen, daß meine Tränen Dich nicht ungerührt gelassen haben. Dafür danke ich Dir, alter Kumpel, aber auch nur Dir kann ich dafür danken. Kaum jemand sonst interessiert sich für Tränen der Verzweiflung. Ich habe Dir erzählt von unserem Psychologen, der mit mir alle psychologischen Tests machen wollte, sich eventuell voll für mich «engagieren» wollte, was immer er darunter verstand. «In den nächsten
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